Causa Erl - Gustav Kuhn stellt Funktion ruhend

Causa Erl - Gustav Kuhn stellt Funktion ruhend
Ergebnis einer Stiftungsvorstands-Sitzung nach Vorwürfen gegen den Chef der Tiroler Festspiele Erl.

Nach schweren Vorwürfen, zuletzt durch fünf Sängerinnen, stellt der Chef der Tiroler Festspiele Erl, Gustav Kuhn, seine Funktion bis zur vollständigen Klärung mit sofortiger Wirkung ruhend. Das ist laut APA das Ergebnis einer Sitzung des Stiftungsvorstandes der Tiroler Festspiele Erl, die nach den Vorwürfen einberufen worden war. Kuhn wolle damit weiteren Schaden von den Festspielen abwenden, teilten die Verantwortlichen der APA mit.

Die Festspiele waren zuletzt unter schweren Druck geraten: Fünf ehemalige Künstlerinnen hatten in einem offenen Brief an Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, angeklagt. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements. Am Montagabend bekräftigten zwei der Künstlerinnen die Vorwürfe im ORF. Kuhn weist diese weiterhin zurück.

Der Vorstand habe die Entscheidung Kuhns begrüßt, hieß es. Mit der interimistischen Leitung werde sein bisheriger Stellvertreter Andreas Leisner betraut. Die Vorwürfe würden jedenfalls ernst genommen, und jedem einzelnen davon werde entsprechend nachzugehen sein, wurde versichert, "da der Vorstand nach wie vor darauf besteht, dass Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung keinen Platz in einem österreichischen Kulturbetrieb haben dürfen". Es werde auch die Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt angerufen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Kuhn hatte die Festspiele 1997 aus der Taufe gehoben. Eigentlich wäre sein Engagement bis 2020 gelaufen. Und für die Zeit danach sollte der 72-Jährige, wie Haselsteiner bei der Eröffnung betont hatte, dem Festival im Tiroler Unterland als Dirigent erhalten bleiben - sollte, denn wird aus dem vorläufigen Rückzug (Kuhn stellte seine Funktion bis zur vollständigen Aufklärung der Vorwürfe ruhend) ein endgültiger, dann wäre wohl das Dirigat der „Götterdämmerung“ als Abschluss der heurigen Saison sein letztes in Erl gewesen.

Ins Rollen gebracht hat die ganze Causa der Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Er berichtete als erster über - damals noch anonyme - Vorwürfe gegen Kuhn und wurde daraufhin vielfach geklagt.

Kuhn, für den die Unschuldsvermutung gilt, sah sich dann im Finale der Festspiele mit namentlich gezeichneten Vorwürfen konfrontiert. Die damit einhergehende Eskalation der Debatte führte nun zu Kuhns Abgang. Zuletzt hatten u.a. die Tiroler Grünen - Koalitionspartner der dortigen ÖVP - die Suspendierung Kuhns gefordert. Nun hat man sich auf eine aktiverere Rolle Kuhns geeinigt.

Kulturlandesrätin: "Funktion ist ruhend gestellt. Das heißt nicht, dass sie beendet ist"

Die zuständige Tiroler Kulturandesrätin Beate Palfrader, die im Vorstand der Stiftung Erl sitzt, ließ danach ein Statement veröffentlichen:  „Das Land Tirol nimmt die Vorwürfe sehr ernst und wird die restlose Aufklärung bestmöglich unterstützen. Wir begrüßen die Entscheidung Gustav Kuhns bis zur vollständigen Aufklärung der Vorwürfe seine Funktion als Künstlerischer Geschäftsführer ruhend zu stellen. Das Land Tirol bekennt sich ausdrücklich zu den Tiroler Festspielen Erl als Fixpunkt des Tiroler, Österreichischen und internationalen Kulturlebens.“ Auf Nachfrage des KURIER sagte sie dazu, ob eine Rückkehr von Kuhn denkbar ist: „Diese Funktion ist ruhend gestellt. Das heißt nicht, dass sie beendet ist. Für Gustav Kuhn gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.“

Haselsteiner: "Kuhn muss beweisen, dass er unschuldig ist"

Eine mögliche Rückkehr von Gustav Kuhn in seine Funktion hängt nicht nur von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, sondern auch von der Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt ab, die die Geschäftsführung der Festspiele nun anrufen werde. Dies machte Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner im APA-Gespräch klar.

„Diese Kommission wird dann ein Gutachten erstellen. Und nur wenn diese darin zu dem Schluss kommt, dass die Vorwürfe zu Unrecht bestehen oder nicht ausreichend begründbar sind, kann Kuhn zurückkehren“, erklärte Haselsteiner. Parallel dürfte es natürlich auch zu keiner strafrechtlichen Anklage kommen bzw. müssten die Ermittlungen eingestellt werden.

Da vor der Gleichbehandlungskommission die Beweislastumkehr gelte - also Kuhn muss dabei den Diskriminierungstatbestand glaubhaft machen - stelle dies für den „Maestro“, so Haselsteiner, eine „große Erschwernis“ dar. „Kuhn muss beweisen, dass er unschuldig ist“, so der Industrielle.

Der Vertrag Kuhns laufe noch bis 2020. Dass die Festspiele ohnedies heuer - auch ohne die gesamte Causa - einen Nachfolger für die Zeit danach präsentieren würden, bestätigte Haselsteiner. Es gebe nach wie vor die „Hoffnung“, dass Kuhn die letzte oder sogar zwei Saisonen lang noch künstlerischer Hauptverantwortlicher in Erl sein könne. Dazu müssten sich die Vorwürfe aber als „nicht haltbar“ herausstellen, betonte der Festspielpräsident.

Der Maestro habe mit seiner Entscheidung jene des dreiköpfigen Stiftungsvorstandes vorweggenommen, so Haselsteiner. „Es gab im Vorstand keine divergierenden Meinungen“, sagte der Industrielle und Erl-Mäzen. Bei den Vorständen habe jedenfalls „großes Bedauern“ und auch „große Ohnmacht“ angesichts der ganzen Causa und der jetzigen Entwicklung geherrscht.

Es gelte die Unschuldvermutung für Kuhn, meinte Haselsteiner wiederholt. Um hinzuzufügen: „Bedauerlicherweis muss man offenbar den Unschuldnachweis erbringen. Aber das ist nun einmal so in unserer Mediengesellschaft“. Der ehemalige Liberales Forum-Politiker ortete zwar einen „Image- und Prestigeverlust“ für die Festspiele, aber der Schaden sei „noch nicht allzu groß“. Hätte Kuhn aber diesen Schritt jetzt nicht gesetzt, wäre der Schaden angewachsen. „Wir wollen keinen Machtmissbrauch und keine sexuelle Nötigung“, stellte Haselsteiner klar. 

Chronologie

  • Mitte Februar 2018 veröffentlicht der Blogger Markus Wilhelm auf der Homepage „dietiwag.org“ anonyme Vorwürfe, die von „modernem Sklaventum“ über Verdacht auf Lohndumping bis hin zu sexueller Belästigung unter anderem durch Maestro Kuhn reichen. Die Verantwortlichen der Festspiele Erl weisen die Anschuldigungen aufs Schärfste zurück und kündigen eine Klage gegen Wilhelm an.
  • 26. Februar: Der künstlerische Leiter Gustav Kuhn nimmt erstmals selbst Stellung. Er spricht von „unhaltbaren Anschuldigungen“ und wehrt sich gegen Vorverurteilungen. „Wenn das Gericht zu einem Urteil kommt, dann ist es so. Aber bevor das Gericht nicht zu einem Urteil kommt, ist es so nicht. Das sagt unser Rechtsstaat“, erklärt Kuhn in einem Interview im Ö1-„Kulturjournal“. Im Hinblick auf den Vorwurf eines autoritären Stils meint Kuhn: „Da sollte ich mich auch ein wenig zügeln. Vielleicht das ein oder andere Wort - das nehme ich auf meine Kappe. Ich sollte ein bisschen milder werden.“
  • 28 Februar: Festspielpräsident Haselsteiner kontert den Vorwürfen. Die Anschuldigungen seien eine „Schweinerei erster Ordnung“, sagt Haselsteiner: „Wir sind offensichtlich Opfer einer Verleumdungskampagne.“ Er ortet eine Kampagne und politische Motive dahinter. Offenbar gehe es darum, die ÖVP und Landeshauptmann Günther Platter knapp vor der Tiroler Landtagswahl zu treffen. Die Festspiele dienten als „Instrument“ dafür. Die Vorwürfe von angeblichem Lohn- und Sozialdumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit und dergleichen sind für den Festspielpräsidenten schon „längst erledigt“, der auf entsprechende Untersuchungen durch Tiroler Gebietskrankenkasse und Finanzpolizei verweist.
  • 1. März: Der Verein „art but fair“ erstattet bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Kuhn. Dem Verein geht es um mehrere „Fragenkomplexe“, die staatsanwaltschaftlich geklärt werden sollen, darunter der Vorwurf von strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffen.
  • 2. März: Die Festspiele Erl erwirken bei Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen den Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Zudem werden mehrere Klagen gegen Wilhelm vorbereitet und auf den Weg gebracht.
  • 11. März: Der Vorstand der Tiroler Festspiele Erl Privatstiftung beschließt die Offenlegung der Gagen und richtet eine Ombudsfrau als Anlaufstelle für gegebenenfalls Betroffene ein. Zudem beauftragt er die Geschäftsführung „Rules of Conduct“ (Verhaltensregeln, Anm.) zu erarbeiten und zu implementieren.
  • 17. Mai: Kuhn zieht seine medienrechtliche Klage gegen Wilhelm zurück. Die Zivilklage bleibt jedoch aufrecht. Der Blogger sieht darin einen kleinen Sieg.
  • Anfang Juni: Die zuständige Richterin übermittelt den Akt aus dem Prozess Kuhn gegen Wilhelm unter anderem wegen übler Nachrede nach dem Mediengesetz an die Staatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde prüft die Aussagen, die Vorwürfe sind aber bereits verjährt. Zwei weitere Zeuginnen sollen aber noch einvernommen werden.
  • 6. Juli: Die heurigen Festspiele werden eröffnet. In seiner Festansprache übt Haselsteiner Kritik und nimmt Kuhn in Schutz. Die sozialen Medien bezeichnet er als „neuen Pranger“ und Kuhn attestiert er „ganz der Alte zu sein“. „Er macht - hoffentlich zum Ärger des Bloggers - noch immer keinen Hehl daraus, welche Vorlieben er hat. Und Wein, Weib und Gesang ist etwas, was wir gut nachvollziehen können“, witzelt der Festspielpräsident.
  • 25. Juli: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von „anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen“ durch Kuhn während ihres Engagements. Es ist das erste Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden.
  • 26. Juli: Haselsteiner zeigt sich ebenfalls in einem offenen Brief „schockiert und überrascht“ und versichert, den Anschuldigungen „mit Ernsthaftigkeit und Akribie“ nachzugehen - allerdings will er das Ende der Festspiele abwarten.
  • 29. Juli: Die heurige Festspielsaison geht mit einer Aufführung der „Götterdämmerung“, bei der Kuhn selbst am Dirigentenpult steht, zu Ende. Die Festspiele vermelden knapp 20.000 Besucher und eine im Vergleich zum Vorjahr um fast acht Prozent höhere Auslastung.
  • 30 Juli: Die Mezzosopranistin Julia Oesch konkretisiert gegenüber der „ZIB 2“ des ORF-Fernsehens ihre Vorwürfe und spricht von einem „massiven sexuellen Übergriff“ durch Kuhn. Auch ihre Kollegin, die Sopranistin Mona Somm, berichtet im selben Interview davon, dass der „Maestro“ eine gute Freundin von ihr bei einem Workshop belästigt habe.
  • 31. Juli: Der Stiftungsvorstand tritt zusammen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Kuhn stellt seine Funktion als künstlerischer Leiter der Festspiele bis zur vollständigen Klärung mit sofortiger Wirkung ruhend. Mit der interimistischen Leitung wird sein bisheriger Stellvertreter Andreas Leisner betraut.

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