Anders als in den vorangegangenen KHM-Großausstellungen zu Rubens und Bruegel steht diesmal weniger die Darstellung von Leben und Werk einzelner Künstler im Zentrum. Auch wenn der Fokus auf zwei „Posterboys“ anderes verheißt, zeigt das KHM eine Themenausstellung: Es geht um die Darstellung ungebremster Emotion, die
Caravaggio und Bernini in Rom um 1600 perfektionierten.Ihre leidenden Heiligen und exaltierten Sagengestalten waren einerseits Propagandawerke für die Kirche, die im Zuge der Gegenreformation auf Überwältigung setzte. Zugleich waren sie Testballons, um herauszufinden, was beim Festhalten menschlicher Regungen in Farbe oder Stein möglich ist.
Die damals verwendeten Begriffe für die angestrebten „Affekte“ dienen als Kapitelüberschriften für die Schau, die neben den Schätzen des KHM zahlreiche exquisite Leihgaben präsentiert. Zum Thema „Meraviglia & Stupore“ (etwa: „Wundern und Staunen“) empfängt Caravaggios großartiger „Narziss“ aus dem Palazzo Barberini in
Rom, der sein Spiegelbild im Wasser anschmachtet. Daneben liefert Berninis marmornes Medusenhaupt vom Kapitol einen weiteren Beleg dafür, dass Blicke mitunter auch Grenzen zwischen lebloser und lebendiger Materie auflösen können.
Dass die Werke aus den sonst dunklen Sälen in punktuell gesetztem, „caravaggeskem“ Licht hervortreten, ebnet die Unterschiede zwischen Skulptur und Malerei zusätzlich ein. Auch dies ist ein Inszenierungs-Trick, der den Bestrebungen der Barockzeit geschuldet ist: Maler wie Bildhauer forschten gleichermaßen nach Möglichkeiten, um Bewegung, extreme Anspannung oder die Schwere eines fallenden Körpers darzustellen. Und sie fanden ihr Vokabular von halb geöffneten Mündern, verdrehten Augen, Grimassen und erschöpften Leibern nicht mehr nur in antiken Statuen, sondern im Leben der Großstadt.
Auch wenn das Wort Sex sich hinter Begriffen wie Amor versteckt, durchzieht das Körperliche alles: Der sogenannte „kleine Tod“ diente zur Darstellung des großen, Caravaggios „
Johannes der Täufer“ ist ebenso erotisch aufgeladen wie Berninis Heilige Teresa von Ávila, die der Legende nach von einem himmlischen Pfeil durchbohrt wurde und sich dabei wünschte, der Schmerz würde niemals aufhören.Das Terrakottamodell zur berühmten Teresa-Skulptur, die sich in Santa Maria della Vittoria in Rom befindet, ist eines der Highlights, wegen denen sich der Besuch der Ausstellung lohnt – und eines der wenigen Werke, an dem sich der Prozess der Herstellung erahnen lässt.
Denn anders als bei Michelangelo oder Raffael fehlt bei Caravaggio und Bernini ein umfassender Bestand an Zeichnungen und Entwürfen. In großer Zahl vorhanden sind dagegen die Werke von „Fans“ und Nachahmern, die schon zu Lebzeiten der Künstler nach Rom strömten. Auch im KHM veranschaulichen sie das Spektrum barocker Inszenierung: So perfektionierte der Bildhauer François du Quesnoy seine Putten („Barockengerln“) als Affekt-Pillen, um allzu schwere Inhalte aufzulockern. Giovanni Antonio Galli wiederum malte einen Christus, der seine Wunde in fast obszöner Direktheit zeigt. Nur Maria Magdalena wirkt in einer bisher unbekannten Darstellung von Artemisia Gentileschi im KHM weniger ekstatisch als vielmehr tiefenentspannt.
Nicht alle Zustände, nicht alle Figuren erscheinen heute gleich nachvollziehbar, manches wirkt einnehmend, anderes übersteigert. Und doch beeindruckt die Haltbarkeit der Formen, mit denen die Barockkünstler einst Empfindungen konservierten. Die Halbwertszeit jener Emoji-Gesichter, mit denen das Museum die Ausstellung online bewirbt, ist garantiert kürzer.
Zweite Ausstellung: Caravaggios Röntgen
Zur Debatte um die Besetzung des KHM-Chefpostens verweigerte Direktorin Sabine Haag bei der Pressekonferenz am Montag jeden Kommentar. Fest steht: Die Caravaggio-Bernini-Ausstellung, die sie im KURIER-Gespräch einst als „Steilvorlage für meinen Nachfolger“ bezeichnete, ist jetzt Bewerbungsunterlage für die Verlängerung.
Der Umstand, dass Haag stets auch zeitgenössische Kunst im KHM forcierte, wird durch eine Zusatz-Schau im Bassano-Saal betont: Der Künstler Klaus Mosettig übersetzte dafür Röntgenaufnahmen von Caravaggios „David und Goliath“ aus dem KHM in 15 großformatige Bleistiftzeichnungen.
Die minutiös ausgeführten, abstrakt anmutenden Bilder erscheinen als Gegenthese zur Emotionalität, die in der Barockausstellung vorherrscht. Hier überwiegt der analytische Blick, der Materialqualitäten und ein unter den Caravaggio-Malschichten verborgenes Bild eines unbekannten Künstlers offenbart.
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