„Cannes ist natürlich etwas ganz Besonderes“, sagt Mo Harawe im KURIER-Gespräch: „Dadurch bekommt mein Film mehr Aufmerksamkeit.“ Und natürlich ist es auch etwas ganz Besonderes, mit einem Debüt gleich in Cannes zu landen. Aber in seiner Selbstbeschreibung bleibt Mo Harawe zurückhaltend. Von ihm wird man keine Sätze hören wie „Ich wollte immer schon Regisseur werden“, oder: „Seit ich denken kann, gehe ich ins Kino.“
Stattdessen wird der eigene Werdegang eher als Understatement erzählt: „Es ist nicht so, dass ich immer schon den Traum hatte, Filmemacher zu werden. Es hat sich ergeben. Ich bin durch Zufall zum Film gekommen.“
Zufall oder nicht: Irgendwann begann Harawe in Österreich Filme zu drehen – „Und irgendwann gibt es keinen Weg zurück. Und jetzt bin ich da, wo ich bin.“
Geboren 1992 in Mogadischu, kam er 2009 nach Österreich und lebt sehr gerne in Wien: „Eine tolle Stadt.“
Er hat die österreichische Staatsbürgerschaft und versteht sich als somalisch-österreichischer Filmemacher.
Filmschule hat er keine besucht, sondern es war alles „Learning by Doing“, sagt er und lacht: „Ich hatte viel Glück, dass es geklappt hat.“
Die sogenannte „Flüchtlingswelle“ von 2015 inspirierte ihn zu seinem Kurzfilm „Die Geschichte vom Eisbär, der nach Afrika wollte“ (2018). Ursprünglich hatte Harawe geplant, eine somalische Frau in den Mittelpunkt zu stellen, fand aber keine Schauspielerin. Also schrieb er das Drehbuch um, passte es an zwei syrische Darsteller an und erzählte die Fluchtgeschichte einer Syrerin, die nach Österreich gelangen will, aber in der Slowakei strandet.
Gut möglich, dass auch eigene Migrationserfahrungen mit einflossen: „Jeder Film ist eine Auseinandersetzung mit etwas, womit ich mich gerade beschäftige.“
Giftmüll
Der Nachfolgefilm „1947“ handelte von „einer Familie mit dunkler Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg“, ließ sich aber nicht nach seinen Vorstellungen umsetzen. Es mangelte an Zeit und Geld. Harawe musste Teile seines Drehbuchs fallen lassen, und fand das Projekt am Ende „nicht so richtig gelungen“. Die Lehren, die er daraus zog: „Man kann Filme auch anders machen.“ So entstand die Idee zu dem mehrfach ausgezeichneten, in brillantem Schwarz-Weiß gedrehten Kurzdrama „Life on the Horn“ (2020). Gedreht wurde in Somalia, mit kleinem Filmteam, billiger Kamera und ohne Zeitdruck.
Das Schwarz-Weiß der Bilder folgte keinen stilistischen Überlegungen, sondern ergab sich aus dem Thema des Films, „in dem es um eine tote Landschaft geht“: Ein Sohn lebt mit seinem gebrechlichen Vater an der somalischen Küste in einer Gegend, die von toxischem Müll verseucht ist, den europäische Länder dort abgeladen haben. Wer kann, zieht weg.
Harawe drehte mit einer Handvoll Laiendarsteller, die er über Mundpropaganda kennenlernte oder von der Straße weg engagierte und die ihm treu blieben. In seinen weiteren Filmen tauchen vertraute Gesichter auf – wie in seinem nächsten Kurzfilm „Will My Parents Come to See Me?“ (2022). Wieder greift Harawe ein gesellschaftspolitisches Problem auf – die Todesstrafe in Somalia – und spinnt daraus ein unaufgeregtes, aber packendes Drama.
Illegale Fischerei, Piraterie, Drohnangriffe oder Giftmüll – all diese Unwegsamkeiten unterfüttern sein Werk, ohne in den Vordergrund zu drängen. Vielmehr ginge es ihm darum, zu den zirkulierenden Medienbildern – etwa über Drohnenangriffe in Somalia – Bilder von den Menschen dahinter zu zeigen: Hinter den TV-News oder hinter Hollywood-Klischees wie im Thriller „Captain Phillips“, in dem Tom Hanks als Held gegen somalische Piraten antritt.
Auch in seinem Langfilmdebüt „The Village Next to Paradise“, der von einem alleinerziehenden Vater, dessen Schwester und kleinem Sohn erzählt, sickern globale Zusammenhänge in die Schicksale der Familie ein.
Windstärke
Gedreht wurde 64 Tage in Somalia bei starkem Wind, der in dem Film „eine eigene Figur sein sollte“, sich aber gleichzeitig als große Herausforderung erwies. Irgendwann streikte die Kamera und das Team sah aus, „als wäre es gerade aus einem Loch heraus gekrochen“, so der Regisseur: „Aber er schafft die richtige Atmosphäre. Es hat sich gelohnt.“
Die erste Fassung zu dem Film entstand 2018 und half Harawe bei der Auseinandersetzung mit seinem Herkunftsland: „Menschen werden oft nur auf ein Problem reduziert. Somalia hat vielleicht keine funktionierende Regierung, aber das hält die Leute nicht davon ab, in die Schule zu gehen und Spaß zu haben. Aber natürlich werden ihre Entscheidungen von der ganzem Welt beeinflusst – seien es Drohnen oder Müll.“
Mit seinen Filmen stößt Harawe Fenster zu Welten auf, die man so meist nicht kennt: „Es geht mir um Menschen, von denen man normalerweise nicht erzählt. Ihre Emotionen aber sind universell.“
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