Butoh, Weill und Hustenzuckerl

Butoh, Weill und Hustenzuckerl
Die exzentrische US-Sängerin Amanda Palmer begeisterte trotz Bronchitis mit ihrem "The Grand Theft Orchestra" die Fans in der Wiener Arena.

Der 31. Mai 2012 wird eines Tages im Rückblick vielleicht einen Wendepunkt in der Musikindustrie markieren: An diesem Tag schloss Amanda Palmers Crowdfunding-Projekt, im Rahmen dessen die exzentrische Musikerin ihre Fans dazu aufgerufen hatte, ihr neues Album zu finanzieren, mit der mehr als zehnfachen Summe, die als Ziel angegeben worden war. Ein knappes halbes Jahr später macht Amanda Palmer nun das, was Musiker auch weiterhin machen werden müssen: Sie ist mit dem frischen Album "Theatre is Evil" und ihrer neuen Band "The Grand Theft Orchestra" auf Tour. Gestern, Montag, war die Wiener Arena die letzte Station des ersten Teils der Europa-Konzerte.

Zunächst sah es nicht gut aus: Aufgrund einer Bronchitis sagte Amanda Palmer im Vorfeld ihres Wien-Konzerts alle Interview-Termine sowie einen Kurz-Auftritt in einem Plattengeschäft ab. Via Kurznachrichtendienst Twitter hielt sie ihre Fans auf dem Laufenden: Am Abend wolle sie auf jeden Fall auftreten. Und so stand die 36-jährige ehemalige Sängerin der "Dresden Dolls" um 20 Uhr im Kimono und mit Uniform-Kappe auf der Bühne: "I'm a little krank", lachte sie mit deutlich belegter Stimme ins Mikrofon.

Gäste

"Aber ich habe ein paar Gäste mitgebracht, vielleicht zu viele Gäste...", schmunzelte die Amerikanerin und gab die Bühne für ihren Bassisten Jherek Bischoff frei, der das Publikum in der ausverkauften Arena mit einer skurrilen Mischung aus Neuer Musik und Punk irritierte. Auch der nächste Programmpunkt forderte die Geduld der Fans, als die Japanerin Hiroyo Kitao eine geräuschlose Butoh-Performance zum Besten gab. Es folgten ein wildes Kurz-Konzert des "Grand Theft Orchestra"-Gitarristen Chad Raines mit seiner Band "The Simple Pleasure" und eine Lyrik-Lesung von Amanda Palmers Ehemann Neil Gaiman, bevor es nach zwei Stunden endlich soweit war: Amanda Palmer stürmte überraschend energiegeladen die Bühne.

Im Zentrum stand das neue Album "Theatre is Evil", das Palmer mithilfe jener knapp 1,2 Mio. Dollar finanziert hat, die ihr 24.883 Fans über die Plattform "Kickstarter.com" im Vorfeld überwiesen hatten. 100.000 Dollar waren angepeilt gewesen, die Fans konnten zwischen unterschiedlichen Packages (vom 1-Dollar-Download des gesamten Albums bis zu einem Privatkonzert für 5.000 Dollar) wählen. Dieses zuvor in dieser Größenordnung in der Musikbranche nicht da gewesene Projekt hatte Amanda Palmer, die ihr neues Album ohne eine Plattenfirma im Rücken produzieren wollte, viel Respekt eingebracht. Erst nachdem alle Spender ihre Downloads, CDs, Platten oder sonstige Merchandise-Artikel erhalten hatten, ging das Album in den regulären Verkauf und wurde tatsächlich auch zum Chart-Erfolg: "Theater is Evil" debütierte im September auf Platz 10 der US-Billboard-Charts.

Blumen zwischen den Zähnen

Während Palmer bei ihrem Wien-Auftritt vor knapp drei Jahren noch mit der Weinflasche auf die Bühne gekommen war, lag es diesmal an den Fans, für das leibliche Wohl der Sängerin zu sorgen. Bereits während des Openers flogen Kräutertee-Boxen und Hustenzuckerl-Schachteln auf die Bühne, was die Band zum Anlass nahm, ausgiebig herumzualbern. Zwischen neuen Hits wie "Killing Type" oder "Want it Back" und Cover-Versionen wie Kurt Weills "Seeräuber Jenny" hatten die Band-Mitglieder sichtlich Spaß beim geräuschvollen Zerkauen der Hustenzuckerl, einer wilden Instrumententausch-Staffel während des Klassikers "Missed Me" oder dem Singen mit - auf die Bühne geworfenen - Blumen zwischen den Zähnen.
 

 

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So trat Palmers Bronchitis zusehends in den Hintergrund, lediglich ab und zu verrutschte die Stimme um eine Oktave, was der Qualität des Club-Konzerts jedoch keinen Abbruch tat. Zwei Stunden lang rockte Amanda Palmer die Arena und verabschiedete sich schließlich mit einem vom Balkon gespielten Finish mit Megafon, um wenige Stunden später wieder im Flugzeug Richtung Heimat zu sitzen: Schließlich ist heute Wahltag.

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