Hinter den Türen lauert der Abgrund

Die Zeitung berichtet von einem Mord – waren wir die Täter? Ofczarek und Maertens als  virtuoses Duo
"Die Affäre Rue de Lourcine": Barbara Frey inszenierte Labiche, als wäre es Beckett – ein voller Erfolg.

Wissen wir, wer wir sind? Und vor allem: wer wir nicht sind? Können wir sicher sein, dass in uns nicht noch ein anderer wohnt, der zum Vorschein kommt, wenn wir zum Beispiel schlafen? Thomas Glavinic hat sich in seinem Roman "Die Arbeit der Nacht" dieser Frage gestellt.

Auch Shakespeare-Figuren funktionieren so. Plötzlich, ohne Vorwarnung, tun sie etwas, was ihnen selbst unerklärlich ist, etwas, das ihr Leben aus den Fugen reißt – und ein herrliches Theaterstück ins Laufen bringt.

Szenenfotos aus "Die Affäre Rue de Lourcine"

Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Ofzarek and Maertens perform during a dress rehear
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Ofzarek and Maertens perform during a dress rehear
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

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Hinter den Türen lauert der Abgrund

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Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"
Hinter den Türen lauert der Abgrund

Fotoprobe "Die Affäre Rue de Lourcine"

So eine Entgleisung steht im Zentrum der Komödie "Die Affäre Rue de Lourcine" des Vaudeville-Dramatikers Eugène Labiche aus dem Jahr 1857 (die von Elfriede Jelinek 1988 großartig neu übersetzt und bearbeitet wurde): Der reiche "Rentier" Lenglumé wacht mit einem Riesenkater, aber ohne Erinnerung auf. Zu seiner Verblüffung findet er in seinem Bett seinen Schulfreund Mistingue vor. Als die beiden versuchen, die Ereignisse der Nacht zu rekonstruieren, finden sie Indizien dafür, dass sie im Rausch einen Mord begangen haben.

Das Radikale an Labiches Stück ist: Die beiden trauen sich die Tat sofort zu – obwohl sie keinerlei Motiv für den Mord haben. Sie halten sich auch nicht weiter mit Gewissensbissen auf, sondern machen sich sofort ans immer aberwitziger werdende Vertuschungswerk.

Barbara Frey inszeniert diese Komödie – die man jederzeit als Schwank in irgendeinem sommerlichen Burghof spielen könnte – als unbarmherzigen, schwarzen, schrecklichen Witz. Nicholas Ofczarek (Lenglumé) und Michael Maertens (Mistingue) spielen virtuos Zeitlupen-Slapstick. Dem Zustand des schweren Rausches und/oder Katers angemessen, dehnt und verbiegt sich die Zeitwahrnehmung. Die Szene, in der Ofczarek Schnaps plus Wein plus Bratensoße zu einem Cocktail des Grauens mischt und diesen dann auf ex trinkt, ist im Wortsinn furchtbar komisch.

Barbara Frey geht aber noch einen Schritt weiter: Sie verwendet Elemente des absurden Theaters und erzeugt dadurch eine Atmosphäre des Unheimlichen. Mitten im Wohnzimmer der Familie Lenglumé befindet sich eine Halde aus Müllsäcken, die manchmal ein Eigenleben entwickeln, welches die Hausfrau (einfach großartig: Maria Happel) mit dem Spaten beenden muss. Dass Frey solche Bilder weder begründet noch auflöst, macht die Inszenierung noch stärker.

Das hinreißende Bühnenbild von Bettina Meyer verstärkt dieses Gefühl der Unsicherheit: Die Welt der Spießerfamilie Lenglumé besteht nur aus einem schmalen Streifen, beherrscht vom erwähnten Müllberg (das Verdrängte?) und riesigen Türen. Hinter denen lauert das Unbewusste: Ein Bett, eine gigantische Bar, ein überdimensionaler Aktenschrank, ein Becken, um die Hände in Unschuld zu waschen, ein Beinhaus. Man kann aber nie sicher sein, dass hinter der Tür auch wirklich das wartet, was man er-wartet hat: Ein Bühnenbild wie eine Psychoanalyse-Sitzung.

Frey inszeniert den kurzen Text, als hätte Samuel Beckett eine Tür-auf-Tür-zu-Komödie geschrieben: Die Figuren sind den Einfällen von "Es" und "Über-Ich" ausgesetzt, der schreckliche Witz besteht darin, ihrem hilflosen Strampeln zuzusehen.

Notausgang

An das aberwitzig konstruierte Happy End, das im letzten Moment der Tragödie einen Notausgang anbietet und sie damit zur Komödie macht, glauben die Figuren in dieser Inszenierung selbst nicht. Sie sind jetzt (Achtung, Spoiler-Alarm!) doch keine Mörder – aber sie wissen, dass sie jederzeit welche sein könnten. Am Schluss bliebt tatsächlich nur ein Notausgang: Hinter den Türen klafft plötzlich schreckliche, schwarze Leere – in der Lenglumé verschwindet.

Großer Applaus, viele Bravos (auch für Markus Meyer und Peter Matić als hinreißend skurril-abgründige Nebenfiguren).

KURIER-Wertung:

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