Nikolai Erdmanns Bühnensatire „Der Selbstmörder“ basiert auf einer genialen Idee. Angesichts seines nächtlichen Hungers äußert der trotz seiner Arbeitslosigkeit zur Gemütlichkeit neigende Kleinbürger Semjon Semjonowitsch Podsekalnikov gegenüber seiner fütterungsunwilligen Ehefrau Mascha beleidigt den Wunsch, zu sterben.
Rasch spricht es sich in der Nachbarschaft herum: Semjon wird sich erschießen. Rasch versuchen alle, aus der bevorstehenden Sensation der Entleibung Profit für sich zu schlagen: Die Vertreter der Intelligenz, der Kirche, des Gewerbes, der Kunst, der Revolution – und auch zwei notgeile Damen.
Essen!
Semjon wird zum künftigen Helden ernannt – dabei will er doch nur seine Ruhe und etwas zu essen.
Erdmann hat zwei Dinge erkannt: Unter dem Druck eines prekären Lebens denkt jeder vor allem einmal an sich selbst (und weniger an die Weltrevolution). Und zweitens: So schlecht kann das Leben gar nicht sein, dass der Mensch den Tod nicht fürchten würde.
Kein Wunder, dass das Stück in der Sowjetunion verboten wurde – und der Dichter, ein großes Talent, nach Sibirien verbannt wurde. Nach Stalins Tod wird er rehabilitiert, findet aber den Anschluss nicht mehr. Er lebt in Moskau, schreibt unter anderem für den Zirkus und stirbt 1970, vergessen.
Im Burgtheater hat das deutsche Regieduo Peter Jordan (der ehemalige Tod im Salzburger Jedermann) und Leonhard Koppelmann diese Wiederentdeckung in Szene gesetzt. Die Regisseure verlegen Erdmanns Porträt einer frühstalinistischen Gesellschaft der 20er-Jahre in die Punkszene der Gegenwart: Die Protagonisten tragen flächendeckende Tattoos, Lederkluft und Netzleibchen.
Die Regisseure lassen die Geschichte in einem verfremdeten Hochtempostil spielen, mit viel Bewegungstheater, absurd überzogenem Slapstick und offenbar bei den Proben dazu improvisierten Einlagen. Das ergibt durchaus beeindruckende Theaterkunst, nimmt aber der Komödie an Wirkung, weil dieser Stil Distanz schafft. Wie so oft gilt auch hier: Wenn man Komödie „komisch“ spielt, verliert sie an Komik.
Dass ständig die U-Bahn durchs Hinterhof-Elend (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch) rattert, mag ein starker Effekt sein, geht aber irgendwann auf die Nerven.
Die besten Szenen gelingen, wenn die Regie der Handlung ein wenig Ruhe gönnt. Wie Semjon erfolglos versucht, Tuba zu erlernen, um künftig als Musiker seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist großes tragikomisches Theater. Auch Semjons verzweifeltes Nachdenken über den Tod und das, was danach kommen könnte, berührt zutiefst. Herrlicher Slapstick wird gezeigt, wenn Semjon – den alle für tot halten – aus dem Sarg heraus ins Geschehen eingreift.
Großartige Darsteller
Das Glück des Burgtheaters: Dank der herausragenden Qualität der Darsteller (die hier im Höchsttempo die Rollen wechseln) geht jedes Konzept auf. Florian Teichtmeister ist ein ergreifender, tief tragischer Semjon, bis in die Spitzen seines traurig hängenden Schnurrbarts. Großartig sind auch Lilith Häßle als seine desillusionierte Frau Mascha und Katharina Pichler als Schwiegermutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Unter den übrigen Rollen fällt Dietmar König als aristokratischer Intellektueller mit subtiler Komik auf.
Am Ende gibt es freundlichen Applaus für einen knapp drei Stunden langen Abend, der vor allem vor der Pause einige Kürzungen vertragen hätte.
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