Bühne Baden: Den Kuss kann man erwidern

Bühne Baden: Den Kuss kann man erwidern
Kritik: Das Musical „Der Kuss der Spinnenfrau“ in absoluter Top-Besetzung im Stadttheater Baden.

Da sage noch einer, Sommertheater müsse nur seicht, beliebig, harmlos und vor allem unterhaltsam sein. Nein, das muss es nicht! Bestes Beispiel dafür: Die Bühne Baden, die im Stadttheater (man spielt bis 1. September) „Der Kuss der Spinnenfrau“ von John Kander (Musik), Fred Ebb (Gesangstexte) und Terrence McNally (Buch) zeigt. Ein Musical, das vielfach preisgekrönt wurde, aber dennoch keine leichte Kost ist.

Hollywood

1993 haben die Vereinigten Bühnen Wien dieses fast durchkomponierte Herzensdrama rund um den homosexuellen Schaufensterdekorateur Molina, der sich in einer beliebigen (?) südamerikanischen Militärdiktatur im Gefängnis befindet, sich aber in die schönste Hollywood-Welt hinein träumt, im Raimund Theater zur deutschen Erstaufführung gebracht. Mit Erfolg, aber ohne weitere szenische Folgewirkungen.

In Baden hat sich nun Regisseur Werner Sobotka diesen komplexen Stoff um Liebe, Revolution, Homosexualität und Eskapismus vorgenommen und im wandelbaren (Gefängnis-)Bühnenbild von Karl Fehringer und Judith Leikauf ein in sich stringentes Meisterwerk geschaffen. Ein klassisches Musical, das sich ganz am Roman von Manuel Puig orientiert, das weit mehr intensives Theater denn purer Showcase ist.

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Bollywood

Und Werner Sobotka hat eine (fast) ideale Besetzung: So ist Drew Sarich ein Molina zum Niederknien. Wie dieser Träumer mit seiner Aurora (die Spinnenfrau) imaginäre Welten durchschreitet, wie er zu dem Revolutionär Valentin eine echte Beziehung aufbaut und sich letztlich für dessen Ideen opfert, ist absolute Weltklasse. Sarich spielt und singt extrem berührend, sorgt neben Hollywood-Feeling auch für ein Bollywood-Feeling. Bilder sind ja stärker als Ängste! Bravo!

An seiner Seite: Martin Berger als eher gegen den Strich besetzter, schmerbäuchiger, alternder Revoluzzer Valentin. Ein Kraftlackel, der „seine“ politische Mission erfüllen will, der sich plötzlich in Molinas „schönerer, besserer Welt“ wiederfindet. Berger gibt diesen letztlich streichelweichen, sich nach seiner Geliebten Marta sehnenden Verblendeten mit einer gehörigen Prise Testosteron.

Und Aurora, die Spinnenfrau? Ann Mandrella verleiht ihr in roten oder schwarzen Kleidern (Kostüme von Friederike Friedrich) jene, von Regisseur Sobotka auch eingeforderte filmische Präsenz. Ein tödliches Überwesen, Diva, Muse und Henkerin zugleich mit betörend schöner Stimme. Diese Aurora kann sich sehen und hören lassen.

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Badenwood

Wie auch das übrige Ensemble (Andrea Huber als Molinas alte Mutter), Elisabeth Ebner als auch stimmlich sehr präsente Marta oder Artur Ortens als Gefängniswärter Esteban nebst allen anderen Beteiligten dieses hintergründige musikalische Theaterstück zu einer Art Badenwood machen. Christoph Huber sorgt am Pult des Badener Orchesters dabei für den passenden Klangteppich; die klug-dezente Choreografie (Natalie Holtom) und das fabelhafte Lichtdesign (Michael Grundner) runden das Gesamtbild sehr gut ab.

Mag dem „Kuss der Spinnenfrau“ auch international kein Hit-Leben beschert sein – die Reise nach Baden lohnt sich, um diese Kostbarkeit zu sehen. Standing Ovations!

KURIER-Wertung: **** 1/2

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