Essen schlecht, Unterhose zu eng: Schwärmereien und Kleinode des Reisehasses
Urlaubslektüre, was für ein Wort. Fast so schlimm wie Strandlektüre. Kein Autor will zum Urlaubslektürenverfasser abgestempelt werden. Die meisten wollen doch mindestens Franz Kafkas Anforderungen an die Literatur entsprechen: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns!“
Es soll Leute geben, die sich einst am Strand von Kreta in James Joyces „Ulysses“ hineingetigert haben. Wer’s nicht kennt: Als Strandlektüre ist es eher mittel geeignet, obwohl es sehr dick ist. Die Sonne knallte unbarmherzig vom Himmel, man las mit vor Grauen geweiteten Augen von dem berühmten Nierenfrühstück (ansonsten hat das Buch ja eine eher überschaubare Handlung, ein Tag in Dublin, am 16. Juni nämlich), aber alles war besser als die schreckliche Reisebegleitung, die im Liegestuhl nebenan schnarchte.
Doch selbst für den Fall, dass Sie mit netten Menschen verreisen, schadet es nicht, im Urlaub ein Buch dabei zu haben. Erst recht, wenn der Urlaub auf Balkonien stattfindet (daheim funktioniert die Dusche meistens eh besser als im Hotel). Unter den diesjährigen Sommerlesetipps sind Klassiker wie Heinrich Heines berühmte Italien-Aufzeichnungen oder Ferdinand Czernins unterhaltsam-schräger Salzburgführer aus den 30ern. Und Kleinode des Reisehasses wie Franz Grillparzers „Tagebuch auf der Reise nach Griechenland“ – übertitelt mit dem Zitat: „Das habe ich mir anders vorgestellt.“ Bereits am ersten Tag beschwerte sich Grillparzer über die „hässlich plumpen Füße“ seiner Mitreisenden. Das konnte ja nichts werden.
"Das habe ich mir anders vorgestellt"
Der Albtraum des reisenden Österreichers: für einen Deutschen gehalten zu werden. Wäre Franz Grillparzer um ein Haar in Athen passiert. Doch da war eh schon alles schief gegangen auf dieser Reise in den Süden, die ihn aus seiner Lethargie hätte reißen sollen. Ungenießbares Essen, Verdauungsprobleme, zu enge Unterhosen. Außerdem schlechtes Wetter, miese Quartiere, lästige Reisegefährten und alles viel zu teuer. Die Gegend? „Abgeschmackt“. „War froh, wieder fortzukommen. Warum? Weil ich mich nicht freute, herzukommen.“
Warum Goethe lieber Schweinsbraten aß
Eine Italienreise war für Geistesmenschen im 18. und 19. Jahrhundert Pflicht. Das Essen, das Italiener zu sich nahmen, fanden die Kulturbeflissenen aber durchwegs ungenießbar, man aß lieber importierte Wurst und Schweinsbraten. Für das Buch „Con gusto“ hat Dieter Richter die Essgewohnheiten der Literaten (und ihre Abscheu gegenüber Olivenöl!) aus diversen Korrespondenzen extrahiert – in einem zweiten Teil schildert er, wie Pasta, Pizza und Speiseeis dann doch noch die Welt eroberten.
Nichts ist langweiliger als ein Reisebericht!
Heinrich Heine machte sich keine Illusionen: „Es gibt nichts Langweiligeres auf der Erde als die Lektüre einer italienischen Reisebeschreibung.“ Dazu muss man wissen: Heine war Satiriker, er wollte der „langweilig“ gewordenen Tradition deutscher Reisebeschreibungen neues Leben einhauchen. Die Übung gelang: Heines „Reisebilder“ aus Italien, von denen hier eine Auswahl vorliegt, sprudeln vor Lebensfreude, Witz und kleinen Bosheiten. Über Goethes berühmte Italienreise schrieb er: „Die Natur wollte wissen, wie sie aussieht, und sie erschuf Goethe.“
Vor der Abreise sollte man auf Vorrat essen
Alfred Kerr war Kritiker und Feuilletonist, um die Jahrhundertwende soll er Deutschlands „meistgehasster Theaterkritiker“ gewesen sein. Auf Reisen war er milder, geriet gar ins Schwärmen, etwa angesichts der „kleinen süßen Balkons“ auf den Inseln rund um Venedig, der „glutvollen“ Menschen und natürlich der Küche. In Rom hatte es ihm die „liebhaberisch zerkochte Artischocke“ angetan sowie ein „gâteau all’arancia“, ein Pomeranzenkuchen, von dem er angesichts der bevorstehenden Abreise drei Stück aß – „des Vorrats wegen.“
Warum Salzburg? Marlene ist dort!
Vor 90 Jahren veröffentlichte Ferdinand Czernin den heiter-ironischen Stadtführer „This Salzburg!“. Czernin lebte damals in England, das Buch war bisher nur auf Englisch erhältlich. Der Ton erinnert an Erich Kästner – pointiert, knapp, witzig. Ein Reisefeuilleton, das sich liest, als säße man plaudernd mit dem Autor bei einem Drink. Es gebe tausend Gründe, im August nach Salzburg zu fahren. Und keinen, es nicht zu tun. Außerdem sei Marlene (Dietrich) dort. Angesichts der Fotos der Dietrich im Trachtenkostüm greifen selbst Trachten-Skeptiker zum Janker.