Susan Sontag: Denken ist ein Abenteuer

Susan Sontag: Denken ist ein Abenteuer
Drei neue Bücher über (und von) der amerikanischen Intellektuellen, die den Lichtschalter nicht fand

Und wenn man bisher nichts von und über Susan Sontag (1933 – 2004, Foto oben) gehört oder gelesen hat: Das wird ein unvergessliches Kennenlernen jetzt, die Kombination aus Denkerin und Partygirl ist unwiderstehlich.

Die New Yorkerin war (ist) die einzige ihrer Art.

Das merkt man noch nicht so deutlich an den Erinnerungen von Sigrid Nunez: Denn „Sempre Susan“ sind respektvolle private Erinnerungen.

Unterwäsche

Nunez – 2018 National Book Award für „Der Freund“ – war in den 1970ern mit Sontags Sohn David zusammen. Die beiden wohnten bei seiner Mutter in 340 Riverside Drive, Schlafzimmer an Schlafzimmer – a jiddische mame wünschte das so.

Ging nicht gut.

Dass sie immer Jeans trug und sich nur bei Richard Wagner in Bayreuth mit Seidenrock als Dame kleidete; dass sie meinte, zwei, drei Mal Unterwäsche reiche völlig, denn abends wäscht man, was man tagsüber getragen hat ... das alles liest sich vergnüglich. Aber man fragt: Wo ist der Mythos?

Bei diesem Punkt ist der in den Niederlanden lebende Texaner Benjamin Moser in seinem Element: Für seine Biografie „Sontag“ gab es heuer den Pulitzer Preis.

900 Seiten, die immer darauf zurückkommen: Wie sie auf andere wirkte und wie sie war.

Wo die Lichtschalter in der Wohnung sind, merkte sie sich zwar nicht.

Aber Susan Sontag war Furcht einflößend belesen, und schon in ihren 30-ern gehörte sie zur New Yorker Hochkultur. Sie war New York. Pulsierende Energie. Auch in Europa wollten viele so intellektuell sein wie sie.

Sie kommentierte sie Welt und provozierte: „Die weiße Rasse ist das Krebsgeschwür der Menschheitsgeschichte.“

Ist das noch vorstellbar heute? Es war Tagesgespräch, wenn es von ihr etwas über amerikanischen Rassismus zu lesen gab; wenn sie Fernsehen als das Ende der westlichen Zivilisation bezeichnete; wenn sie über Abstumpfung durch Bilderflut philosophierte.

Die Bandbreite war enorm. Ihre Vorträge wurden gestürmt, um zu hören: Fotografieren bedeutet, die Sterblichkeit zu inventarisieren; Krebs ist Ausdruck für die Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen; Homosexuelle bilden die Aristokratie des Geschmacks ...

Fallen lassen

Wie Sigrid Nunez ist auch Biograf Moser einer, der Susan Sontag liebt – beide tun es ernsthaft (= eines ihrer Lieblingswörter) und verklären nicht. Moser achtet darauf, der Gescheitere zu sein. Das werden diejenigen, die mit Sontags Hilfe erwachsen wurden, nicht wollen, weil sie angeblich noch mehr Durchblick haben

Denken als Abenteuer: Erst während des Schreibens sah Sontag klarer. Sie irrte im Glauben, ihre Essays seien nichts, Bedeutung hätten die Romane und Erzählungen.

Selbst die bekannte Kurzgeschichte „Wie wir jetzt leben“ aus 1986 bleibt steif und abstrakt. Sie gab der Krankheit, um die es geht, keinen Namen. Es könnte Corona sein. Es ist Aids. Es spielt keine Rolle, denn es kommt ihr darauf an, wie schnell Kranke fallen gelassen werden. Dass sie sich bei dieser Gelegenheit nicht zur Lesben- und Schwulengemeinde bekannte, wurde kritisiert.

Susan Sontag fürchtete das Gewöhnliche, und da fällt Thomas Mann ein, den sie als Studentin besuchte, um mit ihm über den „Zauberberg“ zu reden. Eine, die schon als Kind Kant gelesen hat, hatte gewichtige Fragen. Thomas Mann antwortete banal. So sind die Größten.


Benjamin Moser:
Sontag.
Die Biografie“
Übersetzt von Hainer Kober.
Penguin Verlag.
928 Seiten. 41,20 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Sigrid Nunez:
„Sempre Susan“
Übersetzt von Anette Grube.
Aufbau Verlag.
144 Seiten. 18,50 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 


Susan Sontag: „Wie wir jetzt leben“
Erzählungen.
Übersetzt von
Kathrin Razum.
Hanser Verlag.
128 Seiten. 20,90 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

 

Kommentare