Richard Adams: Als das Kaninchen von der Apokalypse träumte
Fiver sieht die Apokalypse: Blut rinnt die Wiesen hinunter und wird den Kaninchenbau überfluten. Lesen kann der junge Rammler nicht, sonst sähe er seine Vorahnung bestätigt: Auf einem Schild steht geschrieben, dass auf der Kaninchen-Wiese Häuser gebaut werden. Die Tiere müssen fort.
Mit seinem Bruder Hazel und einigen anderen Kaninchen, die seiner Prophezeiung Glauben schenken, macht er sich auf den Weg in ein besseres Land. Ausgangspunkt einer Abenteuergeschichte. Aber für wen?
Der britische Schriftsteller Richard Adams (1920–2016) will den 1972 erschienenen Roman „Unten am Fluss“ für seine Töchter geschrieben haben. Harmlos war und ist er deshalb keineswegs. Im Gegenteil. Damals warnte der Club of Rome vor dem Kollaps der Erde. Eingetreten ist er noch nicht, aber nicht mehr weit, glauben Klimaforscher. Adams war engagierter Umweltschützer, und seine Saga vom Exodus der Kaninchen, die jetzt neu übersetzt sowie als Graphic Novel vorliegt, gibt den Apokalypse-Propheten in vieler Hinsicht recht. (Die Welt, das sei vorausgeschickt, geht aber zumindest bei Adams nicht komplett unter.)
Richard Adams:
„Unten am Fluss“.
Übersetzt von Henning
Ahrends
Ullstein.
570 Seiten.
28,50 Euro
Das Recht des Stärkeren
Dass es hier Kaninchen sind, die die Geschichte ihrer bedrohten Existenz erzählen, macht die Sache mitnichten fröhlicher. Und süß sind sie beileibe nicht alle. Auch in der Kaninchen-Gemeinschaft gilt das Recht des Stärkeren. Auf Schwächere nimmt die Mehrheit ungern Rücksicht, und Oberkaninchen sind immer wichtiger als alle anderen – kennt man ja aus Orwells „Farm der Tiere“.
Flucht vor Umweltzerstörung und schwindendem Lebensraum, Suche nach Heimat, Solidarität und Gefahr innerhalb der Gemeinschaft: All das steckt in dieser Story. Doch Adams wollte seine Geschichte nie als Parabel gelesen wissen. Immer wieder betonte er: Das ist eine Geschichte über Kaninchen! Dagegen spricht schon die Tatsache, dass Adams seinen Kapiteln oft bedeutungsschwangere Literaturzitate voranstellte – von Aischylos bis Shakespeare. Sogar ein Zitat aus dem Aufsatz „Vom Kriege“ des preußischen Militärstrategen Carl Clausewitz („Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“).
Richard Adams/
James Sturm/
Joe Sutphin:
„Unten
am Fluss“.
Ullstein.
384 Seiten.
30,90 Euro
Andererseits, und das spricht für die Behauptung von der „einfachen Kaninchen-Geschichte“, legte Adams Wert darauf, diese Story realistisch geschildert zu haben. Viele Aspekte des Kaninchendaseins seien penibel beschrieben und zoologisch nachvollziehbar, so Adams, der sich im Vorwort beim Naturforscher Ronald M. Lockley und dessen Studie über das Sozialverhalten von Wildkaninchen bedankt.
Nicht einschlägig versierte Leser könnten sich trotzdem fragen, ob es realistisch ist, dass sich ein Dutzend Kaninchen abspricht, um gemeinsam eine neue Heimat zu suchen. Aber vielleicht ist das gar nicht wichtig. Darauf, ebenso wie auf die vielen zunächst seltsam klingenden Kaninchen-Mythen, die hier vorkommen, muss man sich wohl einfach einlassen.
Adams war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans Beamter im Umweltministerium. Nach dem Erfolg von „Unten am Fluss“ wurde er hauptberuflich Schriftsteller und Umweltschützer. Er bestand zeitlebens darauf, eine Geschichte für Kinder geschrieben zu haben. Endgültig beantworten lässt sich das nicht. Die Grausamkeit, mit der die Tiere untereinander umgehen, lässt aber niemanden kalt.
Das trifft auch auf die britische Verfilmung aus dem Jahr 1978 zu. Art Garfunkels Titelsong „Bright Eyes“ hat man noch im Ohr. Die Bilder verzweifelter Kaninchen, die man als Sechsjährige sah, ebenfalls.