Sie hat nämlich einen Geist gesehen. Das vertraut sie ihrer Mutter an, die die parapsychologische Neigung ihrer Tochter nur zu gern glaubt – ist sie doch auch ihr Steckenpferd, nur ohne entsprechende Fähigkeiten. Ähnlich geht es Walter Frommer, beruflich Beamter im Sterberegister von Breslau, in der Freizeit leidenschaftlicher Experte für das Abwegige. Einst hatte seine Schwester Zugang zum Jenseits, aber das hat irgendwann aufgehört. Die Beziehung der Geschwister hat das nicht unbedingt verbessert.
Okkultes mit C.G. Jung
Auf Frommers Zureden veranstaltet Frau Eltzner eine Séance mit Erna. Daran nimmt nicht nur der Arzt, Dr. Löwe, teil, sondern auch Frau Schatzmann, eine seiner Patientinnen. Bei der Zeremonie erkennt Schatzmann ihren verstorbenen Mann in Ernas entrückten Gesichtszügen. Das wiederum berichtet sie ihrem Sohn Arthur. Der ist Medizinstudent und will berühmter Forscher werden.
Da trifft es sich gut, dass Dr. Löwe ihn mit Dr. Vogel bekanntmacht – der Schatzmann mit den Lehren der Psychoanalyse bekanntmacht. Wir befinden uns nämlich im Jahr 1908 in Olga Tokarczuks Roman „E.E.“. Und Arthur Schatzmann ist deutlich von Carl Gustav Jung inspiriert. Der hatte seine Dissertation über die „Psychologie und die Pathologie sogenannter occulter Phänomene“ (1903) geschrieben.
Wie der anonymisierte Titel „E.E.“ verrät, wird auch Erna zu so einem wissenschaftlichen „Casus“. Der Roman erscheint erstmals seit 25 Jahren auf Deutsch. Tokarczuks Schreiben fehlt da noch der so typische Humor, mit dem sie später Mythos und Realität zusammenspinnt. Der Kampf jener, die sich das Unerklärliche nicht nehmen lassen wollen, gegen andere Erklärmodelle ist hier kein erbitterter.
Tokarczuk widmet sich vorrangig der Objektifizierung der („hysterischen“) Frau, ohne die es keine Psychoanalyse gegeben hätte. Wie Schlieren aus dem Unbewussten legt die Literaturnobelpreisträgerin Spuren zu vergrabenen sexuellen Ereignissen. Beklemmend ist die Metapher des Schlafs, der für alle Frauen der Ausweg aus dem Trauma ist.