Sein Enkel Menachem Kaiser wird Jahrzehnte nach seinem Tod die Spur wieder aufnehmen. In der schlesischen Industriestadt Sosnowiec taucht er, der zunächst im Zuge eines Forschungsstipendiums nach Europa gekommen ist, in die Familiengeschichte ein. Sie wird zur Obsession und ihn in einen Strudel immer merkwürdigerer Spekulationen ziehen. Polnische Bürokraten, Nazi-Schatzsucher und Verschwörungstheoretiker werden ihn in Beschlag nehmen.
Seinen Großvater wird man mit einem entfernten Verwandten verwechseln, Abraham Kajzer, der unter polnischen Abenteurern als Held gilt. „Abrahams Enkel“ sei hier, werden sie rufen – bis er, der Erzähler, das auch selbst zu glauben scheint und sich bereitwillig auf diese sechsjährige Reise durch unterirdische Gänge, geheime Tagebücher und vergessene Liebesgeschichten einlässt. Nicht zuletzt mithilfe einer schrägen Anwältin namens „Die Killerin“, die gerne im rosa Samt-Jogginganzug unterwegs ist.
Der 1985 in Toronto geborene Autor Menachem Kaiser sagt von „Kajzer“, seinem ersten Buch, es handle sich um ein Sachbuch, ein „Erinnerungsbuch“ – und gesteht, dass er dem Genre nicht traue – „dem des Enkelkinds, das auf seiner bedeutungsschweren Erinnerungsmission zum alten Heim zurückwandert.“ Dies hätte auch ein Roman sein können, schreibt er. Wäre ein solcher abenteuerlicher als ein sogenanntes Sachbuch gewesen? Wohl kaum.
Die Frage nach Wahrheit und Dichtung begleitet einen während dieser stellenweise anstrengenden Lektüre ständig, denn bekanntlich ist Wahrheit oft wesentlich absurder als alles, was man sich ausdenken kann.
Da ist einerseits die polnische Bürokratie, die es dem Enkel verunmöglicht, Gerechtigkeit für seine Familie zu erlangen, denn dazu müsste man die in den Konzentrationslagern ermordeten Verwandten für tot erklären lassen – was die polnischen Gerichte verweigern, weil die Toten in keinen Aufzeichnungen aufscheinen. Groteske Bürokratie oder glatter Antisemitismus?
Und dann sind da die sogenannten Abenteurer, die in (touristisch erschlossenen!) schlesischen Stollensystemen Robinsonspielplätze für ihre Verschwörungstheorien erkennen wollen – die Rede ist etwa von Goldschätzen, Antischwerkraft- und Zeitmaschinen der Nazis.
Die Obsession mit Nazi-Geheimnissen ist gefährlich, sagt Kaiser. Die Nazis als Science-Fiction – sie sind leichter zu ertragen als die wahre Geschichte von Leichenbergen und Gaskammern.