Jugend in der Arktis: Wimperntusche hält bei minus 40 Grad nicht

Jugend in der Arktis: Wimperntusche hält bei minus 40 Grad nicht
Die kanadische Kehlkopfsängerin Tanya Tagaq bereichert das Genre der Erinnerungsbücher mit "Eisfuchs".

Erinnerungen ans erste Packerl Memphis und an die Lieder von ABBA, die man nicht mochte, lieber Black Sabbath, „Satan kommt um die Kurve, die Leute rennen, sie haben Angst ...“

... sie füllen verstärkt Bücher, aber bringen kaum Neues. „Eisfuchs“ von Tanya Tagaq fällt aus der Reihe.

Da wird auf einem Eisbären geritten, zumindest kann man sich’s vorstellen, und der Schwanz eines Eisfuchses wird in den Mund genommen, zumindest kann man sich’s vorstellen, und die Polarlichter steigen herunter und schneiden dir den Kopf ab, wenn du sie anschreist ...

Tagaq - im Bild mit der Royal Canadian Mounted Police - ist Kanadierin. Sie wuchs in der Arktis auf, unmittelbar am Eismeer. „Ihre“ Gegend ist 15 Mal so groß wie Österreich, hat aber nur 35.000 Bewohner.

Tanz und Missbrauch

Die heute 45-Jährige hat einen ganz eigenen Ton – wenn sie singt, dann mit dem Kehlkopf in Tradition der Inuit, auf der Suche nach Verbindungen zu Pop (CDs: „Animism“, „Retribution“); und wenn sie schreibt, dann bemüht sie sich um Klänge, die aus Gedanken Gefühle machen, und aus Gefühlen entsteht Handlung.

Ihre Texte gehen in Gedichte über, ihre Beschreibung der schönen Natur vermischt sich mit besoffenen, zornigen Männern, die ihre Frauen schlagen und zu Countrymusik tanzen und danach Mädchen in ihren Betten heimsuchen und sie vergewaltigen.

So hat man über Kindheit und Jugend noch nicht gelesen. Wimperntusche hält bei minus 40 Grad nicht. Die hohen Frisuren, vom Sturm niedergedrückt, müssen auf dem Schul-WC vor Unterrichtsbeginn mit viel Haarspray wieder in Form gebracht werden. Ab minus 50 Grad kann man darüber reden, schulfrei zu geben.

Frettchen lassen sich fangen und massieren die Kopfhaut. Molche, wenn man sie in den Mund nimmt, legen sich unter der Zunge schlafen. (Man darf aber nicht vergessen, ab und zu den Mund aufzumachen, damit sie Frischluft bekommen.)

Seite 55:

„Man muss Vertrauen haben in eine Welt

die immer perfekt war

in der Verbreitung von Chaos.“

Darüber lässt sich bestimmt auch wild singen.


Tanya Tagaq:
„Eisfuchs“
Übersetzt von
Anke Caroline Burger.
Kunstmann Verlag.
200 Seiten.
20,60 Euro

KURIER-Wertung: ****

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