James Baldwin hat den Film zweimal gesehen. Einmal Downtown New York, das Publikum bestand aus weißen Liberalen. Sie klatschen am Ende über die „noble Geste“ des „noblen Schwarzen“. Das zweite Mal sah Baldwin den Film Uptown inmitten eines schwarzen Publikums. Als Poitier vom Zug sprang, tobten die Leute vor Wut und schrien: „Los, zurück in den Zug!“
James Baldwin erzählte dieses bemerkenswerte Kinoerlebnis in einem Interview 1961 mit dem Showmaster Studs Terkel, nachzulesen im Buch „Ich weiß, wovon ich spreche“.
Die Szene beschreibt auch seine eigene Zerrissenheit. Baldwin, geboren 1924 in Harlem, war einer der wichtigsten US-Schriftsteller seiner Zeit. Er war schwarz und er war schwul. Und hin- und hergerissen zwischen der Bürgerrechtsbewegung eines Martin Luther King, der für „Farbenblindheit“ plädierte, also dafür, dass die Hautfarbe eines Menschen völlig unwesentlich sei, und jener des ungleich radikaleren, unversöhnlicheren Black-Muslim-Aktivisten Malcolm X, der, wie Baldwin schreibt, einen umgekehrten Rassismus propagierte. Baldwin schien sich selbst uneins, wohin er tendierte. Eine Frage, die ihn sein Lebtag beschäftigte, wie in René Aguigahs Porträt „Der Zeuge“ nachzulesen ist.
Am 2. August wäre der 1987 in Südfrankreich verstorbene Schriftsteller 100 geworden. Seine Bücher „Giovannis Zimmer“ und „Nach der Flut das Feuer“ machten Baldwin berühmt und brachten den Künstler und Aktivisten 1963 auf das Cover des Time Magazine. Zuletzt waren viele seiner in 25 Sprachen übersetzten Romane auf Deutsch vergriffen. Nun erscheinen zahlreiche Neuübersetzungen. Darunter der autobiografische Text „Kein Name bleibt ihm weit und breit“. Schon der melodiöse Titel deutet auf die religiösen Wurzeln des Prediger-Sohnes hin, der selbst als Jugendlicher in der Kirche predigte. Ausgehend von einem Treffen mit einem Jugendfreund, berichtet er von seinen Jahren in Paris und Hollywood und über Rassismus da wie dort. Immer wieder geht es um die Scheinheiligkeit des weißen Amerikas, aber auch um seine eigene Unentschlossenheit zwischen den Bürgerrechtsbewegungen.
Als Schwarzer fühlt er sich nicht diskriminiert in Paris, die Franzosen hätten alle Hände voll zu tun, die Algerier zu unterdrücken. Bei der Gelegenheit bekommt auch der aus Algerien stammende Franzose Albert Camus sein Fett ab: Baldwin hat nie verstanden, was die Leute an Camus finden. Ob wirklich alle einschlägigen Überlegungen Baldwins ausgereift sind, sei dahin gestellt. Manches hört sich frappant heutig-ideologisch und fragwürdig an. So sei etwa Israel ein Staat, der „eigens gegründet wurde, um westliche Interessen zu wahren“.
Kindheit in Harlem
Überzeugender ist Baldwin, wenn er persönlich wird, etwa, wenn er von den Sonntagvormittagen seiner Kindheit in Harlem erzählt und den inneren Konflikten durch seine Aufstiegsgeschichte: Seinen Jugendfreund besucht er jetzt in einer weißen Limousine. Aber nicht, weil er ein Angeber ist, sondern weil kein Taxi in die Bronx fährt.
Ebenfalls neu übersetzt ist der wunderschöne Roman „Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort“ von 1968. Theaterstar Leo Proudhammer lässt in Todesnähe in Folge eines Herzinfarkts sein Leben Revue passieren. Er ruft Kindheitsträume in Erinnerung und das, was daraus wurde. Es geht um Rassismus, Homosexualität, das Hadern mit der Vaterfigur und dem Glauben und die Suche nach Liebe. Ein Buch, das ziemlich oft zu Tränen rührt.