Sprachhandwerker Harald Darer: Der Elektroinstallateur und die Liebe zur Kunst

Auf auf, ihr müden Hasen, hört ihr nicht den Jäger blasen. Schon als Bub hasste er es, wenn ihn die Mutter in der Früh weckte – lieber sollte man ihn gleich erschießen, liest man im neuen Prosaband von Harald Darer.
Kann gut sein, dass der Autor einiges mit seinem Protagonisten gemeinsam hat. Schule, Lehre, Arbeit. Immer dieses verdammte früh Aufstehen. Mit 50, dachte er, werde es vorbei sein.
Ist es nicht. Harald Darer ist 50 und er steht immer noch zeitig auf, denn in die Arbeit kommt man nicht zu spät. Auch das hat die Mama gepredigt und Harald Darer, obwohl mittlerweile preisgekrönter Autor mehrerer Romane, erscheint immer noch jeden Tag pünktlich um 7.45 Uhr an seinem Arbeitsplatz in einer Elektronikfirma.
Den neuen Erzählband „Makula“, der dieser Tage bei Picus erscheint, hat er, wie die Vorgänger, zum Großteil in Nachtarbeit geschrieben. Tagsüber ist er in der Firma und als Familienvater eingespannt. „Ist halt so. Wenn man nichts anderes kennt, ist das normal. Außerdem schreib’ ich dünne Bücher.“

Harald Darer:
„Makula“
Picus.
232 Seiten.
24,95 Euro.
Plötzlich Bukowski
Geboren 1975 in Mürzzuschlag, war ihm die Schriftstellerei nicht in die Wiege gelegt. Der Vater war Elektriker, die Mutter Hausfrau. Literatur kam mit dem Großvater in Haralds Leben. Busch, Kästner, Ringelnatz las der ihm vor. Später, als Teenager, spielte Harald in einer Band. Bass, nicht gut, aber das war wurscht, „es war eh eine Punkband“. Irgendwann tauchte im Umfeld der Band ein Kerl auf, der von Charles Bukowski schwärmte. Also schwärmte auch Harald von Charles Bukowski.
Und über Bukowski bald von allen möglichen anderen Klassikern. Fraß sich, dank örtlicher Leihbibliothek, durch Hemingway, Hamsun und Konsorten. Österreicher wie Josef Winkler und Werner Kofler beeindruckten ihn besonders. Die Schule war indes nicht so seins, Literatur oder irgendeine Form von humanistischer Bildung waren dort kein Thema. Er schmiss die HTL, nähere Umstände werden im Roman „Blaumann“ erzählt, wo auch zu lesen ist: „Die zwei Sätze, die ich in meiner Kindheit vom Vater am meisten gehört habe, waren: Ich muss noch ins Werk hinein, und, das Werk hat angerufen, sage ich. Auch sonst hat sich alles ums Werk gedreht.“
Es war also klar, dass Harald, und wenn er noch so begabt war und den Mädeln Gedichte schickte, die diese noch mehr als das Bassspielen beeindruckten – dass Harald also eine Lehre machen und sicher nicht irgendwas studieren würde. „Ich bin in einer Arbeiterkultur aufgewachsen. Schreiben galt nicht als etwas von Wert.“
O Captain! My Captain!
Er wurde Elektroinstallateur. Die Liebe zur Kunst blieb. Dank örtlicher Bibliothek sowie des Schulfreundes, der in die Schauspielschule wollte und nach Wien zog. Man schrieb einander. Gedichte. Der großartige Film „Der Club der toten Dichter“, der damals ins Kino kam, inspirierte zu Poesie à la Walt Whitman – „O Captain! My Captain!“
Irgendwann ging auch Harald Darer nach Wien, bildete sich weiter, arbeitete weiter, ist heute im Büro eines Sensorikherstellers für technischen Support zuständig. Die Arbeit und die eigene Biografie sind immer präsent in seinen Büchern. Er heiratete eine Schulfreundin, bekam Kinder. Schrieb Gedichte, schickte sie an Literaturzeitschriften. Der Schriftsteller Gustav Ernst wurde mit seiner Literaturakademie zum Mentor. Darer bewarb sich, besuchte Schreibklassen, lernte neben dem Handwerk des Elektroinstallateurs also auch das Handwerk des Schriftstellers. Ja, man kann das durchaus vergleichen. Ist beides eine Technik, sagt Darer in aller Gelassenheit. Ein Roman hat Gesetzmäßigkeiten in Aufbau, Figurenzeichnung, Weiterentwicklung, Wendepunkt, Auflösung. Wer sich damit beschäftigt, lernt Schreiben ebenso, wie einen Geschirrspüler zu reparieren.
Er sagt das durchaus nicht kokett oder mit gespieltem Understatement. Harald Darer ist tatsächlich unaufgeregt, freundlich und ganz bei sich und dem, was er tut. Das Gespräch mit dem KURIER findet an einem Vormittag statt, Herr Darer hat gerade Urlaub. Er ist mit dem Bus vom Laaer Berg gekommen, wo er mit Frau, Teenie-Töchtern und zwei Katzen wohnt. Beeindruckende, bunte Tattoos zieren seinen linken Arm. Besonders der überdimensionale Marienkäfer fällt auf. Ein Kunstwerk, dieser linke Arm. Er redet über ihn genauso gern wie über Literatur.
Ganz normale Leute
Dass er kein klassischer Teil des Literaturbetriebs ist, stört ihn nicht. Das sind nämlich andere auch nicht. Zum Beispiel seine guten Freundinnen Ljuba Arnautović oder Karin Peschka, bei denen er Schreibklassen besucht hat. Ganz normale Leute wie er, sagt er. Schwieriger war’s da schon um Umfeld der Universität, wo seine Frau studiert hat. Da hat man’s ihn spüren lassen, dass er eine Lehre, aber keinen Titel hat.
Harald Darer grinst. Fast so, als würde er sagen: Er hat es ihnen gezeigt. Tatsächlich würde er so was aber nicht sagen. Er wirkt einfach zufrieden, mit dem, was er tut.
„Wer mit Hunden schläft“ hieß sein erster Roman, er kam 2013 heraus und wurde gut besprochen, sogar in der FAZ. Klar, Autoren wie Franz Innerhofer oder Gernot Wolfgruber, die von harter Arbeit schrieben und als „Antiheimatliteraten“ etikettiert wurden, fielen den Rezensenten auch zu ihm ein. Auch bei ihm fallen schreckliche Sätze, die bis ins Mark hinein realistisch von Armut und Krankheit erzählen: „Das Baby hustete wie ein Hafenarbeiter.“
Natürlich sind ein Innerhofer und noch mehr ein Wolfgruber auch Vorbilder für ihn, sagt Darer. Dazu kommt aber auch ein eigener Schmäh. Das ist ihm wichtig. Schwarzer Humor und ziemlich viele (alt)wienerische Ausdrücke, erstaunlich für einen Steirer. Sie kommen vom Vater, der in Wien aufgewachsen ist: In Harald Darers Erzählkosmos fahren die Leute seltener nach Indien, eher nach Gschertindien.
Vater und Mutter leben noch. Dass der Bub mittlerweile preisgekrönt ist und für den Österreichischen Buchpreis nominiert war, beeindruckt sie nicht besonders, „die Mama ist stolz auf mich, egal, was ich mache. Die Eltern sind eben bodenständig.“
„Jeden Morgen der Wecker und ich: Bitte erschießt mich? Heute weiß ich: Leider ja, es ging so weiter. Schule, Lehre, Bundesheer, Beruf, Kindererziehung.“
So steht’s im neuen Buch.
Was den Autor Harald Darer angeht: Gern aufstehen tut er immer noch nicht.
Der Rest passt derweil.

Harald Darer:
„Blaumann“
Picus.
190 Seiten.
22,95 Euro