Tonio Schachinger, 31, legt mit seinem zweiten Roman „Echtzeitalter“ einen klassischen Bildungsroman vor. Das Theresianum ist hier die Kulisse für eine Coming-Of-Age-Geschichte zwischen pubertärer Einsamkeit, Wohlstandsverwahrlosung, erster Liebe und zartem Mutterhass. Der Autor, offenbar selbst einst Schüler des Theresianums, wirkt noch sehr in diesem Kosmos gefangen. Ein paar weniger Klassenkollegen-Kalauer hätten’s auch getan. Andererseits zeichnen sich gerade dadurch außerschulische Realitäten ab: Geld und Herkunft erlauben jede Dummheit und Bosheit. Manche können sich eben alles leisten.
Mit seinem Debütroman „Nicht wie ihr“ gelangte Schachinger, Wiener mit südamerikanischen Wurzeln, auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Wie sein Vorgänger ist auch dieses Buch atmosphärisch und sprachlich sehr in Wien verwurzelt. Man begleitet den jungen Till durch Jahre des Zuspätkommens, des am Portier Vorbeischleichens, des verzweifelt Reclamheftesuchens. Wer Wien kennt, kann seine Sprints auf dem Schulweg geografisch verorten und mitfühlen.
Auch vom Personal her ist dieses Schuldrama ein Wien-Roman. Zetteldichter Seethaler, Waluliso sowie jede Menge wirklich Gestörte, die nur in Wien leben können, kommen vor. Vor allem aber ist da der unsympathische Klassenvorstand Dolinar. Eigentlich Kärntner, trotzdem eine durch und durch wienerische Figur. Natürlich erinnert er an Torbergs despotischen Mathematiklehrer Gott Kupfer. Allerdings quält er seine Schüler nicht mit Mathematik, sondern (unter anderem) mit Adalbert Stifter. Er ist politisch unkorrekt, macht sich über Schüler wie Kollegen lustig und scheint insgesamt aus der Zeit gefallen. Erfrischend und ambivalent.BB