Gabriel García Márquez: Wie früher. Aber nur beinahe.

Gabriel García Márquez sitzt entspannt auf einem Stuhl.
Eine Erzählung aus Gabriel García Márquez’ Nachlass, die er selbst für untauglich hielt. Hatte der Nobelpreisträger recht?

Im April wird es zehn Jahre her sein, dass Gabriel García Márquez gestorben ist. Der Nobelpreisträger von 1982 war einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Generation, Titel wie „Hundert Jahre Einsamkeit“ oder „Liebe in Zeiten der Cholera“ sind Teil des kollektiven Gedächtnisses. Der Kolumbianer war präsent, nicht nur Literaturbegeisterte kannten das joviale Lächeln des ehemaligen Journalisten, der sich auch in politischen Angelegenheiten immer wieder zu Wort meldete. Unwillkürlich also berührt die Ankündigung eines bisher unveröffentlichten Márquez-Textes wie ein fernes Winken aus einer vergangenen Zeit, und man beginnt diese Kurzgeschichte mit heißem Herzen und großen Erwartungen zu lesen. „Gabo“, wie er von Familie und Fans zärtlich genannt wurde, ist zurück, und vielleicht wird jetzt alles wie früher.

„Wir sehen uns im August“ heißt die mit großem Tamtam angekündigte Kurzgeschichte aus dem Nachlass, die er selbst für untauglich hielt und die der Verlag nun mit den Worten „Eine Geschichte über die Liebe, wie nur Gabriel García Márquez sie schreiben konnte“ bewirbt. Eine Behauptung, die man im Lauf dieser 144 Seiten immer wieder infrage stellt. Anders gesagt: Wie begegnete man dem Satz „Sie bestieg ihn mit Leib und Seele“, wenn man nicht wüsste, dass er von IHM stammt?

Zurückhaltung war jedenfalls nie Márquez’ Sache. Der Meister des magischen Realismus neigte zum Überschwang. Doch so üppig und bunt, wie man ihn in Erinnerung hat, geht es hier im Großen und Ganzen gar nicht zu. Die Geschichte ist schnell erzählt. Ana Magdalena Bach (schon der Name ist eine Enttäuschung. Bei Márquez haben Frauen mindestens Santa Sofía de la Piedad zu heißen!) ist zu Beginn der Erzählung 46, seit 27 Jahren verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder sowie Brüste, die immer noch „rund und hoheitsvoll“ sind.

Jeden August fährt sie auf eine Insel, um auf das Grab ihrer Mutter einen Strauß Gladiolen zu legen. In Folge eines Abendessens mit zu viel Gin verbringt sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Nacht mit einem anderem als dem eigenen Mann. Die wütende Scham darüber, dass ihre Kurzbekanntschaft ihr zwanzig Dollar auf dem Nachtkästchen hinterlässt, verfolgt sie lang. Weswegen sie sich im Jahr darauf rächt. und im nächsten Jahr wieder. Mit jeweils einem anderen. Dass die Stimmung daheim nicht besonders ist, liegt auf der Hand. Aber der Gatte war ohnehin auch anderswo umtriebig. Es wird gefleht, verschmäht, am Ende zerfallen Tote zu Staub. Die körperliche Liebe, das Gegenteil vom Tod.

García Márquez’ Agentin, liest man im Nachwort, habe diese Geschichte, die als Teil einer Sammlung von Liebesgeschichten älterer Leute geplant war, mit den Worten angekündigt, sie handle von einer reifen Frau (sie ist 46!, Anm.), die eine Insel besucht und die Liebe ihres Lebens findet. García Márquez zeigte sich amüsiert. Seine Heldin finde nicht die Liebe ihres Lebens, sondern bei jedem Besuch einen anderen Liebhaber. So sollte man diese Petitesse einer Erzählung auch lesen. Sie ist gewiss kein Meisterwerk, nicht die „ganz große Liebe“ – aber ein fernes Winken.

Das Cover des Buches „Wir sehen uns im August“ von Gabriel García Márquez.

Gabriel García Márquez:

Wie sehen uns im August.

Übersetzt von Dagmar Ploetz

KiWi, 144 Seiten 23,70 Euro