Die Sprachlust wucherte: Ernst Jandl zum 100er

Sein Witz, seine Verletzlichkeit, seine Konsequenz und seine Anarchie wirken 25 Jahre nach seinem Tod noch so radikal, dass man sich fragt, ob er sich heute, in einer insgesamt konservativen Literaturwelt, wo alles brav nacherzählbar sein muss und wo nur ja nicht überfordert werden darf, durchsetzen würde.
Obwohl, Otto Mops, das wäre höchst Instagram-tauglich. Es heißt ja, das sei nicht unwesentlich, heutzutage. Dazu dieses berühme Foto des Mannes mit Hund und Zeitung im Kaffeehaus. Zu einer Zeit, als außer ihm bloß Loriot die angebliche Herzigkeit dieser späteren Modehunde erkannt hatte.
Das berühmte Mops-Foto stammt von Werner Braun, es wurde im Café Museum bei Probeaufnahmen für ein Werbeplakat aufgenommen. Jandl war ein Beagle namens Snoopy wahrscheinlich der liebere Hund, er schenkte ihn seinem Lebensmenschen, der Dichterin Friederike Mayröcker in Form eines frühen Cartoons, versehen mit einer Widmung. Mayröcker, die ihren „Hand- und Herzgefährten“ Jandl um 21 Jahre überlebte, hütete den Schatz bis zu ihrem Tod und zeichnete Snoopy selbst oft.
Genug der Hunde, Jandl hatte ja gar keinen.
Geboren am 1. August 1925 in Wien als Sohn eines Bankbeamten und einer Gedichte schreibenden Hausfrau, übte Jandl viele Jahre den Beruf des Deutsch- und Englischlehrers aus, angeblich nicht besonders gerne. In einem Brief an eine Schulklasse (nachzulesen in: „der beschriftete sessel“) berichtete er, die Gedichte seiner unheilbar kranken Mutter hätten in ihm den Wunsch geweckt, Dichter zu werden. Ab 1952 schreibt und veröffentlicht er Gedichte. Gertrude Stein beeindruckt ihn, auch E. E. Cummings. Der Dichter Andreas Okopenko, damals Lektor bei der Zeitschrift Neue Wege, unterstützt ihn, ebenso Hans Weigel. Durch Friederike Mayröcker kommt Jandl in Kontakt mit Autoren der Wiener Gruppe wie H. C. Artmann und Gerhard Rühm. Die Sprachlust wuchert. Bei aller Genauigkeit. Bernhard Fetz, Leiter des Literaturmuseums der Nationalbibliothek, berichtet im Buch „Die Ernst Jandl Show“ (zur Schau im Wien Museum 2010) von einer Auseinandersetzung zwischen Mayröcker und Jandl. Letzterer habe sich über die Post geärgert und diese die „Hölle“ genannt. Einspruch Mayröcker: Dieser Ausdruck sei für wirklich Schlimmes reserviert. Jandl: Dann sei die Post eben die „Vorhölle“.
Jandl im Nacken
Ernst Jandls anarchische (Laut-)Gedichte, seine Stücke, seine Wortakrobatien voller Verballhornungen und gewissenhafter Beobachtungen von Alltagserfahrungen sind experimentell, existentiell, politisch. Voll Witz. Selbstironie und „trauriger Lustlosigkeit“, wie Elfriede Gerstl es ausdrückte. Sie wecken Neugier auf Sprache und sie beeindrucken und beeinflussen Schriftsteller bis heute. Der Dichter Clemens J. Setz soll bis zur Begegnung mit Jandl im Alter von 16 Jahren den Computer der Literatur vorgezogen haben, wie er in Interviews erzählt hat. Auch dem Schriftsteller Wolf Haas sitzt Jandl beim Schreiben im Nacken und mahnt zur sprachlichen Sparsamkeit, wie er im Roman „Eigentum“ schrieb: „Lass weg, Haas, ...“
Antworten auf Jandl
Der deutsche Luchterhand Verlag hat anlässlich des 100. Geburtstages von Ernst Jandl Autorinnen und Autoren gebeten, mit eigenen Texten auf Gedichte von Ernst Jandl zu reagieren. Besonders Jandls Hang zur Anapher, also der Wiederholung einer Wortgruppe, habe ihn inspiriert, schreibt etwa der Klagenfurter Autor Daniel Wisser, der mit dem Gedicht „Herz“ eine überzeugende Antwort auf Jandls „Das Haus“ gefunden hat. Neben Wisser schreiben hier Saša Stanišić, Michael Stavarič oder Terézia Mora, die Jandls „vogelgott“ huldigt.

Diverse Autoren:
„Ernst Jandl zum 100.“
Luchterhand.
174 Seiten.
18,50 Euro
Im Berliner Wagenbach Verlag erschien 1968 die erste Jandl Schallplatte „Laut und Luise“ nach dem gleichnamigen Gedichtband. Verleger Klaus Wagenbach hat mit seiner nun neu aufgelegten Jandl-Auswahl „einer raus einer rein“ viel Bekanntes wie „ottos mops“ und „wien : heldenplatz“ zusammengetragen, für das Jandl im titelgebenden Gedicht eine mögliche Leseanleitung gab: „diese gedichte sind nicht zum laut lesen sondern zum sich darein versenken und die goschen zu halten ...“

Ernst Jandl:
„einer raus einer rein“
Hg. Klaus
Wagenbach.
Verlag
Wagenbach.
96 Seiten.
19,95 Euro
Das interessanteste, wenngleich ebenfalls nicht ganz neue Jandl-Buch ist im Salzburger Jung und Jung Verlag erschienen und nun neu aufgelegt worden. „der beschriftete sessel“ versammelt neben autobiografischen Gedichten und Texten („if anything, my poems are my biography, the rest ist dates“) auch den eingangs erwähnten Brief. Und persönliche Lieblinge wie das Kultgedicht „Von zeiten“: „sein das heuten tag sein es ein scheißen tag ... “

Ernst Jandl:
„der beschriftete sessel“ Hg. von Bernhard Fetz und Klaus Sibleweski. Jung und Jung.
256 S. 22€