„Content“ spielt an einem nicht näher bestimmten Ort zu einer ebenso wenig bestimmten Zeit. Die Welt steht am Abgrund. Aber vielleicht war die Apokalypse ja schon da. Naturkatastrophen scheinen Routine geworden, die Erde bebt und brennt (aber leider ist die Feuerwehr privatisiert worden, gelöscht wird nur, wenn die Kreditkarte gedeckt ist).
Auf den Straßen lauern vermeintliche Schlaglöcher, die in Wahrheit Eingänge zu unterirdischen Stollen sind. Man arbeitet in Großraumbüros, unter denen man Atommüllendlager vermutet und versucht, in vergammelten Lagerhallen ein Start-up-Projekt nach dem anderen zu entwickeln – am besten, indem man „radikale Lösungsansätze für bisher unbekannte Probleme“ erfindet. (Hirschl kennt sich mit sinnloser Marketing-Sprache spätestens seit dem Roman „Salonfähig“, in dem er die politische Generation Slim Fit beschreibt, bestens aus.)
Die Erzählerin von „Content“ ist eine einunddreißigjährige Freelancerin in einer sogenannten Content-Farm. Der angebliche Firmensitz von Smile Smile ist Zypern. Wahrscheinlich ist dort aber nur eine Briefkastenfirma beheimatet, in Wahrheit gehört man wohl einem russischen Konzern.
Ihr Traum war einst, digitale Literatur zu schreiben. Tatsächlich hat sie seit drei Jahren nichts mehr gelesen, das mehr als 280 Zeichen hat und eine Aufmerksamkeitsspanne von dreißig Sekunden verlangt. Nicht einmal für Youtube-Videos reicht ihre Konzentrationsfähigkeit noch. Sie füttert nur mehr ihre Bots, automatisierte Computerprogramme, die sie wie Haustiere daheim hält. Und sie schreibt Listen, die Klicks generieren sollen.
11 Tipps, dein Leben in den Griff zu kriegen; Top 15 der tödlichsten Flugzeugabstürze; Top 7 der gruseligsten iranischen Volksmärchen. Roter Faden ist immer Nummer 7: Nummer 7 wird dich überraschen! Tatsächlich publiziert werden die Listen selten. Sie sind ebenso bedeutungslos wie die provozierenden Youtube-Videos und propagandistischen Falschinformationen, die bei Smile Smile täglich produziert werden.
Alle übergeschnappt
Weil ihr Tun völlig sinnbefreit ist, schnappen die Kollegen des Nonsense-Unternehmens der Reihe nach über. Karin ist in einer Anstalt, Marta denkt, als sie einen Essenslieferanten bei einem Unfall beobachtet, nicht daran, die Rettung zu rufen, sondern nur daran, wie sie ihr Mittagessen aus seinem Rucksack kriegt. Nachdem die Firma gehackt wird – Cyberattacken gehören zum Alltag – sind bald auch alle Accounts der Protagonistin dran. Tatenlos sieht sie ihrer digitalen Doppelgängerin bei der Machtergreifung zu.
Elias Hirschl, 1994 und somit knapp noch nicht mit Handy in der Hand geboren, ist ein feinsinniger Beobachter des Zeitgeschehens (die Welt geht unter, aber bitte mit Hafermilch!). Mit „Content“ gelingt ihm eine kluge, böse Analyse über die Aussichten einer Welt, die mit Künstlicher Intelligenz nicht umzugehen vermag. Man wünscht sich, sie wäre Satire. Wer immer noch auf Social Media ist, wird den Umgang damit nach dieser Lektüre wohl überdenken. Aber wer weiß, vielleicht hat drüben auf Instagram längst jemand anderer übernommen.