Der 58-jährige Bestseller-Autor, der mit Thrillern wie „Mystic River“, „Gone Baby Gone“ oder „Shutter Island“ die Vorlagen für Oscar-gekrönte Filme geliefert hat, widmete sich zuletzt vor allem dem Schreiben von Serien für Streamingdienste wie Apple+. Auch „Sekunden der Gnade“ wird als Kurz-Serie verfilmt.
Lehanes jüngstes Buch ist eines seiner persönlichsten. Denn in ihm verarbeitet der US-Amerikaner ein Kindheitstrauma, das ihm seine von Gewalt und Rassenhass geprägte Heimatstadt verpasst hat.
Wir sind im Boston der 1970er Jahre, die historischen Hintergründe sind real: Nachdem ein Bezirksrichter verfügt, dass Kinder aus vorwiegend schwarzen Stadtvierteln in die Schulen von vorwiegend Weißen gebracht werden sollen und vice versa, formiert sich eine Protestwelle unter den weißen Bürgern der Stadt.
Eine dieser empörten Rassistinnen ist Mary Pat Fennessy, die Hauptfigur des Romans.
Fennessys Augenstern, ihre 17-jährige Tochter Jules, kommt eines Abends nicht mehr nach Hause.
Mary Pat macht sich auf die Suche nach ihr, versucht herauszufinden, was ihrer Tochter widerfahren ist. Stück für Stück muss die in einem Soziotop aus Gewalt und Lügen dahin vegitierende Mutter erkennen, dass das Verschwinden ihrer Tochter mit dem gewaltsamen Tod eines schwarzen Teenagers zu tun hat, der in derselben Nacht in einer U-Bahnstation gestorben ist.
Es ist keine Überraschung, dass Lehane auch in dieses Buch die verstörend-faszinierende Welt des organisierten Verbrechens mit einwebt. Und wieder versteht er es ganz wunderbar, die Geheimnisse seiner Romanfiguren nur scheibchenweise offenzulegen.
Weißer Mob
Atmosphärisch am dichtesten wird der Thriller an jenen Stellen, wo der Autor beschreibt, was ihn als Kind nachhaltig verstörte. Gemeinsam mit seinem Vater geriet Lehane irrtümlich in die Demonstrationen des weißen Mobs, der gegen das erwähnte „busing“, also die Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen, protestiert hat. Die Rassisten knüpften Puppen von Politikern und Richtern an Laternenmasten und zündeten die Puppen an. Dieses Bild war für Lehane derart verstörend, dass er sein Leben in ein „Davor“ und „Danach“ einteilt.
Der deutsche Titel des Romans ist wörtlich zu nehmen. Gnade ist hier eine Ausnahme. Und das Happy End bleibt ein frommer Wunsch.
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