Daniel Glattauer: „Ich bin kein Wohlfühlautor!“

Daniel Glattauer: „Ich bin kein Wohlfühlautor!“
Missionieren will er mit seinem neuen Roman keineswegs. Doch die Leser sollen wütend werden, wünscht sich der Bestseller-Autor.

Nach acht Jahren Pause legt Daniel Glattauer mit „Die spürst du nicht“ einen überraschend politischen Roman vor. Zuletzt, sagt er, habe er sich vom Druck befreien wollen, alle zwei Jahre ein Buch schreiben zu müssen.

KURIER: Sie haben bisher viel über Beziehungen geschrieben. Jetzt geht es um ertrunkene Flüchtlinge. Genügen Ihnen die kleinen Tragödien als Schriftsteller nicht mehr?

Daniel Glattauer: Ich schreibe über Dinge, die mich bewegen. Das kann eine Liebesgeschichte sein wie in „Gut gegen Nordwind“, oder, wie in diesem Fall, ein gesellschaftspolitisches Thema. Ich habe mir das nicht vorgenommen. Es hat sich eben eine bestimmte Idee in meinem Kopf festgesetzt.

Und zwar welche?

Ich habe in meinem Umfeld viel mit Flüchtlingen zu tun. Meine Frau und ich sind Paten von drei somalischen Burschen und einem afghanischen Mädchen. Insgesamt begleiten wir jugendliche Flüchtlinge seit 2016. Das hat mich geprägt und auch Wut in mir aufkommen lassen, wie wenig wichtig diese Menschen genommen werden.

Mit Ihrem Buch wollen Sie dazu beitragen, dass sich das ändert?

Ich will nicht darüber debattieren, welche und wie viele Flüchtlinge zu uns kommen dürfen. Mir geht es darum, wie die, die hier sind, behandelt werden. Man steckt sie in Schubladen. Wenn Leute afrikanische Burschen mit Marken-Turnschuhen sehen, dann glauben sie, sie wissen eh schon alles.

Daniel Glattauer: „Ich bin kein Wohlfühlautor!“

Nämlich?

Da wird unterstellt, dass sie gekommen sind, um unser Sozialsystem auszunützen. Solche Erzählungen werden ja von der Politik genährt. Ich kenne allerdings die Flüchtlingsgeschichten „meiner“ Jugendlichen. Wenn man die hört, ist man tief betroffen. Und nicht nur ich, weil ich ein „Gutmensch“ bin. Diese jungen Leute kommen aus bitterer Not und nicht zum Vergnügen hierher. Sie werden hergeschickt, um etwas zu erreichen, das dort, wo sie herkommen, niemals zu erreichen ist. Natürlich sind sie mit dieser Rolle überfordert.

Die Protagonistin Ihres Romans gibt immerhin Interesse für Flüchtlinge vor.

Es war mir ein Anliegen, keinen klassischen „Ausländerfeind“ zu porträtieren, sondern eine Schicht, die kommuniziert, dass sie liberal und aufgeschlossen ist. Leute, die sagen, sie sind auf der Seite von Flüchtlingen. Aber sie tun nichts für sie. Sie spüren sie ja gar nicht.

Daher der Titel des Romans?

Richtig. Das somalische Flüchtlingskind Aayana wird in den Urlaub mitgenommen, damit der eigenen Tochter nicht fad wird. Und dann passiert das Unglück. Aayana ertrinkt im Pool. Von da an befinden sich die anwesenden Familien plötzlich in der Opferrolle. Für die Familie des ertrunkenen Mädchens interessiert sich vorerst niemand. Das sollte die Leser nach und nach hellhörig machen.

Verfolgen Sie eine aufklärerische Mission den Lesern gegenüber?

Ich schreibe keine Bücher, um Menschen zu missionieren. Ich schreibe, um Menschen zu unterhalten, zu berühren und in Spannung zu versetzen. Das gilt auch für dieses Buch. Aber ich gebe zu, dass hier auch ein sozialpolitisches Anliegen mitschwingt.

Haben Sie keine Sorge, Ihre Leser zu überfordern? Die wollen einen Glattauer und bekommen einen politischen Roman.

Ich finde, es ist ein echter, typischer Glattauer. Auch meine anderen Bücher sind bei Weitem nicht so zum Wohlfühlen wie mein Image. Ich bin kein Wohnfühlautor! Ich habe allerdings das dringende Bedürfnis, pointiert zu schreiben. Und ich glaube, dass auch ernste Themen Humor brauchen

Wie in der Figur des Anwalts. Eine Erinnerung an Ihre Zeit als Gerichtsreporter?

Durchaus. Ein klassischer Strafverteidiger, wie ich sie zuhauf im Wiener Landesgericht erlebt habe. Rhetorisch brillant, aber skrupellos. Und sehr mediengeil. So einen Typen zu zeichnen, macht auch schreiberisch Spaß.

Durchaus aus dem Leben gegriffen sind auch die Postings, die sich durch den Roman ziehen.

Ja, die sind sehr an echte Tageszeitungsforen angelehnt. Jeder kann dort absondern, was er will, und wenn sich viele finden, die dem beipflichten, wird das zum Politikum. Ich halte das für einen großen Missstand!

Dieses Buch basiert auf persönlich Erlebtem?

Ja. Auf einem Toskana-Urlaub, wo wir unser 14-jähriges Patenmädchen aus Afghanistan mithatten. Sie hat in diesem Urlaub schwimmen gelernt. Im Vorfeld habe ich mir viele Gedanken gemacht, was alles passieren könnte. Es war uns klar, dass wir sie nicht alleine beim Pool lassen können. Aus dieser Besorgnis ist die Romanidee entstanden. Die schockierende Vorstellung, dass ein Flüchtlingskind eine gefährliche Flucht übersteht, um dann in einem Pool von privilegierten Oberschichtmenschen zu ertrinken. Das ist, so zynisch es klingt, einfach ein guter Romanstoff.

Daniel Glattauer: „Ich bin kein Wohlfühlautor!“

Daniel Glattauer:
„Die spürst du nicht“
Zsolnay. 304 Seiten. 26,50 Euro