Finkelsteins Eltern, Holocaust-Überlebende, konnten, was ihnen widerfahren war, nicht ohne Humor betrachten. „Wie hatten sie es fertig gebracht, ein derartiges Trauma zu überstehen und so normal zu bleiben?“ fragt er sich in seinem Buch „Hitler, Stalin, meine Familie und ich“. Sie haben weder vergessen noch verziehen, aber „sie überwanden“.
Der britische Journalist Daniel Finkelstein, ehemaliger Chefredakteur der Times, erzählt vom Schicksal seiner Familie und ihrem Überleben unter den schlimmsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Vater Ludwik stammte aus einer wohlhabenden jüdisch-polnischen Familie. Nach der Aufteilung Polens durch Hitler und Stalin 1939 wurde die Familie von den Kommunisten zur Zwangsarbeit in einen sibirischen Gulag geschickt. Ludwik überlebte die eisigen Winter in einer Hütte aus Kuhmist.
Finkelsteins Großvater mütterlicherseits, der Berliner Jude Alfred Wiener, erkannte die Gefahr, die von Hitler ausging, früh. Und doch zu spät. Auf der Flucht wurde die Familie gefangen genommen und nach Bergen-Belsen deportiert. In letzter Minute entging sie der Gaskammer. Wiener aber verlor niemals die romantische Vorstellung von seiner Heimat. Wenn er von Klassenkameraden in Potsdam sprach und man ihn fragte, ob nicht der eine oder andere Nazi darunter gewesen sein könnte, antwortete er: „Natürlich nicht, sie sind doch vom Potsdamer Gymnasium.“
Knödelrezept
Finkelstein beschreibt das Überleben seiner Familie anhand großer historischer Linien (Hitler-Stalin-Pakt) ebenso wie mittels Details, etwa aus Tagebüchern: Die Großmutter trickste den Hunger im KZ aus, indem sie Zwetschkenknödelrezepte aufschrieb.
In einer Zeit, in der das Niemals vergessen selbst vom Vergessen bedroht ist, ein besonders wichtiges Buch. („Was meinen Eltern widerfahren ist, wird mir nicht so leicht widerfahren. Auch nicht meinen Kindern. Aber könnte es passieren? Ja, auf jeden Fall.“) Und zugleich sehr lesbar, denn die Protagonisten, allen voran Finkelsteins Eltern, bleiben als Menschen fassbar. Er schildert sie liebevoll, samt ihrer Schrullen. Etwa den stets überkorrekt gekleideten Vater (auch am Strand), ein schrecklicher Autofahrer, der am Steuer über Wittgenstein grübelte, der eine Abneigung gegen Popkultur hatte und auf seine alten Tage eine Schwäche für Kojak, den glatzköpfigen Detektiv mit dem Lolli, entwickelte.