Mit Meditation die Identitätskrise überwunden

epa03370075 Singer-guitarist Brian Molko of British band Placebo, performs at the Veltins-Arena during 'Rock im Pott' in Gelsenkirchen, Germany, 25 August 2012. Around 40,000 visitors attended the first edition of the one-day festival. EPA/CAROLINE SEIDEL
Nach argen Zweifeln an seinen Qualitäten als Songwriter bringt Placebo-Frontmann Brian Molko eine spannende Comeback-CD auf den Markt.

Wir werden es wiedergutmachen“ versprach Placebo-Sänger Brian Molko (siehe KURIER-Interview 2012), nachdem er den Auftritt beim Frequency-Festival 2012 wegen einer Virus-Erkrankung abbrechen musste. Jetzt ist es so weit: Freitag erscheint die neue CD „Loud Like Love“ . Im KURIER-Interview spricht er über die Krise, die er damals durchmachte und erklärt, was er für das neue „Opium fürs Volk“ hält.

KURIER: Wie kam es, dass „Loud Like Love“ ein Songzyklus über die Liebe wurde?
Brian Molko:
Ich habe mich tatsächlich noch nie hingesetzt und gesagt, jetzt schreibe ich über dies oder das. Ich habe mich bei den Texten immer instinktiv von der Stimmung leiten lassen, die mir die Musik gegeben hat. So war es auch jetzt. Irgendwann ist mir aufgefallen: Diesmal schreibe ich nur über die Liebe. Aber keine klassischen Liebeslieder, sondern darüber, wie viel Anstrengung sie braucht, wie gewaltsam und brutal sie sein kann, wie aufreibend ihre Abwesenheit ist.

Als wir vor dem Frequency-Auftritt sprachen, waren Sie nicht nur krank, sondern auch in einer Krise. Sind diese Songs aus dieser Krise geboren?
Als wir uns das letzte Mal trafen, hatte ich tatsächlich eine tiefe Identitätskrise. Ich hatte Zweifel an allem – an meinem Leben als Künstler, an meinem persönlichen Leben. Es waren vor allem persönliche Probleme. Ich habe mich total verloren gefühlt, fragte mich: Was mache ich mit meinem Leben? Und: Will ich das alles? Sagen wir es so: Diese Songs sind fiktive Kurzgeschichten, die auf wahren Emotionen und realen Ereignissen basieren. Aber ich musste Storys und Erzähler rund um die Ereignisse kreieren, um dabei ehrlich sein zu können.

Würden Sie sich zu verletzlich fühlen, wenn Sie in den Songs sagen würden: Ich bin der, der das alles durchgemacht hat?
Das tue ich ja ohnehin. Zum Beispiel gerade jetzt (lacht). Aber wenn alles in der ersten Person erzählt wäre, wäre es doch ein bisschen unwürdig. So, als würde ich meine Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit waschen.

Vor einem Jahr haben Sie sogar das Musikmachen infrage gestellt. Wollten Sie aufhören?
Mein Lieblingssong von den Beatles heißt „Yer Blues“. John Lennon war da offenbar in genauso einer dunklen Phase wie ich. Er singt: „Ich bin so einsam, ich will sterben“. Und dass er seinen Rock ’n’ Roll hasst. Manchmal stellt man eben genau die Dinge infrage, die einem am wichtigsten sind – weil irgendwo auf dem Weg etwas verloren gegangen ist. Aber solche Phasen hat jeder. Nur leider dringen sie bei mir in die Öffentlichkeit.

Was ging verloren? Und wie haben Sie es wiedergefunden?

Die Freude am Kreieren. Die habe ich bei den Aufnahmen zu „Loud Like Love“ wiedergefunden. Irgendwann hatte ich wieder das Gefühl, noch gute Songs schreiben zu können. Und privat war der Buddhismus die positive Kraft. 2012 war ich in Thailand , bin dort mit Buddhisten in Kontakt gekommen. Ich bin keiner, der das als Religion sofort annimmt. Aber diese Philosophie zu studieren und meditieren zu lernen, hat mir sehr geholfen.

Die Single „Too Many Friends“ klingt, als würden Sie Facebook hassen ...
Ich hasse Facebook nicht, ich fand im Gegenteil neue Technologien schon immer faszinierend. Der Song handelt auch nicht von Facebook, sondern von einer sehr modernen Form der Einsamkeit. Ich überlege dabei, was es für Freundschaften bedeutet, dass wir so besessen davon sind, unsere Leben in der Öffentlichkeit zu leben. Was für einen Effekt es auf unsere Gesellschaft hat, dass wir zwar physisch nebeneinander sitzen, aber den Verlockungen der Smartphones nicht widerstehen können. Denn lass uns nicht naiv sein: Konzerne wie Facebook haben nicht im Sinn, uns näher zusammenzubringen. Die wollen nur Reichtum für einige Wenige kreieren.

Welche Effekte hat es?
Dass es den Leuten schwerer fällt, mit anderen Menschen ein Risiko einzugehen und sich in Beziehungen offen und somit verletzlich zu machen. Meiner Meinung nach braucht es das, um eine Art Lebensglück zu finden. Es ist aber viel sicherer, den Computer zwischenzuschalten. Und ich fürchte, dass Technologie die Religionen als „Opium fürs Volk“ verdrängt. Schuld daran ist aber nicht die Technologie. Das sind immer die Menschen selbst.

Der berührendste Song ist „Bosco“. Wem ist der gewidmet?
Das ist meine Entschuldigung an eine ganze spezielle Person, die aber ungenannt bleiben soll. Ich bin dabei ganz ehrlich, da gibt es keine Story und keinen Erzähler. Deshalb ist es bis heute sehr schwierig für mich, „Bosco“ zu hören, ohne dass mir Tränen in die Augen steigen.

Das Partyleben des Brian Molko war legendär. Als der Placebo-Songwriter 22 war, mit bunter Schminke und Miniröcken, mit Hits wie „Nancy Boy“ und „Pure Morning“ Ende der 90er-Jahre schillernden Glamour in die vom düsteren Grunge bestimmte Szene brachte, ließ er nichts aus: DrogenKokain, Haschisch, was immer da war. Sex, jede Nacht mit einer anderen Person – mit Mädchen, oder Männern, egal, wer immer da war.

2003 kam der Wandel. Das Make-up wurde dezenter, die Kleider wichen Jeans und Lederjacken, Molko schwor den Partys und Drogen ab und schrieb in seinen Songs anstatt über Sex über die „Sehnsucht nach einem seelenverwandten Partner“.

Gefühls-Chaos

„Ich bin einfach reifer geworden“, erzählte er damals dem KURIER. „Und mein Körper macht die Exzesse nicht mehr so mit, wie früher. Denn so ein Leben ist extrem zerstörerisch. Aber wenn du wie ich seit der Kindheit depressiv bist, fängst du mit den Drogen an an, weil du Antworten suchst – eine Linderung im Gefühls-Chaos. Aber in Wirklichkeit machen dich die Drogen nur noch konfuser, noch depressiver. Und das gilt für die Drogen genauso, wie für die vielen anonymen sexuellen Begegnungen, die ich immer hatte.“

Das Partyleben, sagt er, war eine Reaktion auf die Kindheit. Molko wurde am 10. Dezember 1972 in Brüssel geboren. Weil sein Vater ein amerikanischer Bankier war, musste die Familie oft umziehen, lebte zwischendurch auch in Afrika und im Libanon, später in Luxemburg. Die Mutter, eine streng gläubige Christin, wollte, dass der Junior Priester wird und hielt Rock-Musik für Teufelszeug.

Gemobbt

Molko rebellierte deshalb schon in der Schule mit dem Tragen von Kleidern. „Ich fand einfach, dass mir das besser stand. Ich wollte damit ein Zeichen für die Freiheit im Selbstausdruck setzen – auch wenn das bedeutete, dass ich deshalb permanent beschimpft und gemobbt wurde. Deshalb kämpfe ich gegen alle Formen der Diskriminierung, gegen Rassismus, Vorurteile gegen Homosexuelle und generell gegen jede Art von Vorurteil. “

Heute lebt Molko in London. Mit der vielleicht größten Liebe seines Lebens, mit der Fotografin Helena Berg, hat er einen Sohn namens Cody, der acht Jahre alt ist. Und obwohl Molko nicht mehr mit Berg zusammenlebt, sagt er, dass er seine Freizeit heute am liebsten mit dem Junior verbringt.

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