Die letzten Stadionkonzerte der Band vor der Pandemie waren Risiken: An schlechten Tagen - wie in Wien - hörte man einen Frontmann, der um stimmliche Fassung rang. Doch das neue Album birgt ein klares Statement: Bon Jovi ist immer noch für große Gefühle in großen Räumen gebaut. Ein majestätischer Refrain reiht sich an den nächsten, große Gitarrenakkorde und auf Stadion getrimmtes Schlagzeug erinnern an jene Fiktion von Freiheit und wahrer Liebe, die Bon Jovi immer behauptet haben.
Und zumindest im Studio, wo ja vieles möglich ist, hört man einen Jon Bon Jovi, der wie Jon Bon Jovi klingt.
Okay, vielleicht nicht ganz. Der dauerjugendliche Pathos, der einst Hymnen wie "Always" oder "Bed Of Roses" zum popmusikalischen Ereignis machte, ist natürlich gedämpfter. Aber, womit wir wieder beim Anfang wären: Bon Jovi sind ja auch längst keine Mittzwanziger mit komisch geföhnten Mähnen mehr. Da entscheidet sich nicht mehr an jeder Emotion das Leben, und das hört man halt auch. Zum Glück.
"Forever" vermag jedoch hervorragend, unter geänderten Voraussetzungen markenadäquat zu bleiben: Da ist jeder Song ein Bon-Jovi-Song, und allein das ist eine Leistung. Die Baukastenteile sind alle da, auch die gedämpften akustischen Vorbauten, von denen aus sich die Songs dann extra hoch in die Luft schrauben können. Es gibt Balladen ("Kiss the Bride") und Powerballaden ("Seeds") und alles dazwischen. Es gibt jene Art von unverbindlichem Up-Tempo-Song, den nur Bon Jovi mit ernstem Gesicht darbieten können - und damit überzeugen.
Und nachdem wir alle auch mitgealtert sind, ist das vor allem eine überaus taugliche Erinnerungsvorlage an die einfachen Emotionskasteln, in denen man dereinst die Welt empfand. Er sei "verliebt in seine erste Gitarre", singt Bon Jovi, und ja, man erinnert sich. Man kann da wohl durchaus ohne zu großen Wagemut hineininterpretieren, dass das Album nicht nur eine Selbstvergewisserung einer Band ist, deren Zukunft vor kurzem noch alles andere als klar war, sondern auch ein Jetzt-oder-nie-Statement: Wenn das das letzte Album von Bon Jovi sein sollte, dann können sie hoch zufrieden sein, und wenn nicht, ist es eine hervorragende Basis für einen neuen Abschnitt der Bandgeschichte.
Das Schöne an Bon Jovi ist ja der unvergiftete Begriff von Freiheit, für den sie immer noch stehen, eine versöhnliche, im besten Sinne breitenwirksame Freiheit, die sich nicht gegen jemanden richtet, wie vieles von dem, was derzeit online für Freiheit gehalten wird. Sie besingen ein offenes Amerika für einfache Menschen (wo diese nicht offensiv "normal" genannt werden). Das kann man blöd und seicht finden, aber man tut sich damit keinen Gefallen. Bon Jovi ist das, was mit Pop einmal gemeint war.
Ein bisserl weltpolitisch komisch ist die partymäßig gemeinte Aufforderung, die Mauern von Jericho niederzusingen, den Song hätte man sich eventuell noch einmal überlegen sollen. Am Schluss gibt es ein schönes Lied, in dem ein "hohler Mann" Geschichten über ein versprochenes Land singt, und ja, Bon Jovi taten immer genau das, und nein, hohl ist das eigentlich nie gewesen, und das merkt man vielleicht erst jetzt so richtig.
Kommentare