Bob Dylan lässt die toten Blätter fallen

Ein bemerkenswerter Abend in Wiesen.

Seinen wahrhaftigsten Moment fand dieses Konzert kurz vor Schluss. Bob Dylan lehnte am Mikro, und die Band reduzierte die Musik auf das Nötigste. Über dem Festivalgelände von Wiesen kreisten die Glühwürmchen (früh sind die dran dieses Jahr, offensichtlich Vorglüh-Würmchen) und es wurde ganz still.

Und dann ließ er sich hineinfallen in "Autumn Leaves". Dieses Chanson hieß ursprünglich "Les feuilles mortes" (die toten Blätter), komponiert von Joseph Kosma, der Text stammt von einem Gedicht von Jacques Prévert, Yves Montand sang es 1946 im Film "Pforten der Nacht". Unzählige Größen des Jazz und Pop haben diese magische Melodie interpretiert, und jetzt ist Bob Dylan dran.

Und als er, mehr raunend als singend, die Zeilen über die Vergänglichkeit der Liebe vorträgt, bleibt kurz die Zeit stehen: "Since you went away/the days grow long." Eine hinreißende Interpretation. Vielleicht sind deshalb die Glühwürmchen schon da – weil in Dylans Gesang der Sommer fast vorbei ist.

Das Erstaunliche an diesem Abend: Dylan, inzwischen 74, hat seine Farben noch einmal geändert. Man glaubte seinen Alterston seit Jahren zu kennen: Grimmig bellend schindet er seine Songs, während die Band die Gitarren heulen lässt. So klang er noch vor einem Jahr in der Wiener Stadthalle.

Altersmilde?

Aber in Wiesen verblüffte er etwa 3000 Besucher mit einer Altersmilde, die ihm niemand zugetraut hätte. Zwar spielte er nur zwei Songs von seinem Swing-Album "Shadows In The Night" (neben "Autumn Leaves" noch "Full Moon And Empty Arms"), aber den Grundton behält er bei – er ist jetzt ein Crooner. Ein manchmal krächzender und murmelnder, aber dennoch ein zärtlicher. Auch die Band hat er entwaffnet – statt der verzerrten Gitarre dominiert jetzt das Wehklagen der Pedal-Steel.

Das Programm streift die Vergangenheit fast unwillig. Nur zwei Songs aus den sechziger Jahren ("Blowin’ In The Wind", "She Belongs To Me", zwei aus den Siebzigern ("Tangled Up In Blue", "Simple Twist Of Fate"), keiner aus den Achtzigern, einer aus den Neunzigern ("Love Sick" – dieses Stück blutete, so schmerzerfüllt klang es) – aber gleich 13 aus den vergangenen 15 Jahren.

Das waren übrigens gute Jahre für Dylan, sein karger, packender Geister-Blues, den er auf seinen jüngeren Alben kultivierte, kam bei Kritikern und Käufern blendend an. Enttäuscht sind nur jene Fans, die den Folk-Heiligen vermissen – und nicht akzeptieren wollen, dass Dylan nie einen Schritt zurück geht. Die gibt es immer noch: Als nach dem Konzert beim Parkplatz jemand Dylan-Songs im Stil der sechziger Jahre zur Gitarre vorträgt, bildet sich sofort eine Menschentraube. Und aus dieser ist folgender Kommentar zu hören: "Vü besser!"

Große Chance!

Erwähnt sei auch noch, weil es nicht alltäglich ist: Der im Vorprogramm solo auftretende Thomas David ("Die große Chance") nützte seine Chance und zog das Publikum mit starken Songs auf seine Seite.

Album

Auf seinem aktuellen Album "Shadows In The Night" interpretiert Bob Dylan Songs aus dem "Great American Songbook", Lieder, die vor allem mit Frank Sinatra verbunden werden. Dass er sich den Crooner-Stil der Schlagersänger der vierziger und fünfziger Jahre zu eigen macht, hat sein Publikum (wieder einmal) vollkommen überrascht.

Live

Diesen Stil – wenn auch durchaus nicht allzu gefällig – behält Dylan derzeit auch auf der Bühne bei.

KURIER-Wertung:

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