Blendung statt völliger Finsternis

Sven-Eric Bechtolf (Doktor), Annett Renneberg (Königin der Nacht)
Jubel für Sven-Eric Bechtolf in Thomas Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige" (Salzburg).

Im Theater wie beim Sport läuft man schnell Gefahr, in die "Opa erzählt vom Krieg"-Falle zu gehen. Damals, als Kurt Jara noch den Jedermann spielte und Brandauer im Team seine genialen 40-Meter-Pässe schlug, da war alles noch besser. Oder war es umgekehrt?

Salzburg 1972

Notlichtskandal. Thomas Bernhard und Regisseur Claus Peymann bestehen darauf, dass am Ende der Uraufführung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" für zwei Minuten absolute Dunkelheit herrscht. Bei der Generalprobe wird ihnen dies zugestanden, bei der Premiere nicht, die Notlichter brennen – und zwar aus denselben Gründen, aus denen in Österreich alles passiert bzw. nicht passiert: aus behördlichen.

Daraufhin weigern sich die Schauspieler, weitere Aufführungen zu spielen.

DER Theaterskandal schlechthin und als solcher eine der schönsten Festspiel-Inszenierungen. Wären alle, die sich genau an diese Premiere erinnern, wirklich dabei gewesen, müsste das Landestheater Fußballstadiongröße haben.

Salzburg 2016

Und damit sind wir endlich zurück im Jahr 2016. Regisseur Gerhard Heinz und Friedrich Rom (Licht) fanden einen anderen Weg, das von Bernhard geforderte "vollkommen finster" herzustellen: Zuerst wird das Publikum von starken Lampen geblendet, die am Schluss plötzlich ausgehen – wodurch man für einige Sekunden tatsächlich nur noch Schwarz sieht.

Skandal gibt es diesmal keinen, das Publikum nimmt die Aufführung mit großem Jubel entgegen. Demonstrativ laute Bravos gab es für Sven-Eric Bechtolf bei seinem Bühnen-Comeback in der Rolle des Doktor. Da im Theater nichts einfach nur so passiert und nichts einfach nur das heißt, was es zu heißen scheint, darf man sich fragen: Wollte das Publikum dem scheidenden Schauspielchef und Interims-Direktor der Salzburger Festspiele danken? Oder wollte es vielmehr sagen: Schön, dass Sie jetzt wieder Theater spielen? Oder beides?

(Und natürlich ist es für alle Beteiligten sehr witzig, wenn Bechtolf, dessen Kämpfe mit dem Feuilleton schon legendär sind, in der Rolle Sachen sagen kann wie: "Immer der gleiche Dreck. Einen Menschen wie mich ekelt noch immer vor dem täglichen Erfindungsreichtum des Feuilletonismus.")

Seziergebete

Jedenfalls zog Bechtolf nach etwas verhaltenem Beginn alle Register seines großen Könnens. Sein Doktor ist ein verzweifelt Liebender, der den Vater der von ihm verehrten Operndiva am liebsten lebendig sezieren würde, um die Angebetete ganz für sich haben zu können. Der aus seinem eigenen, nie herausgekommenen Buch Leichenöffnungs-Anweisungen zitiert, als seien es Gebete (was sie genau genommen für ihn sind, Mantras, Beschwörungen, Zaubersprüche).

Bechtolfs Darstellung ist ebenso tragisch wie komisch, sie ist aber auch eine Zurschaustellung von Virtuosität – dass er die Aufführung so blendend an sich riss, gefiel vielen, aber nicht allen (in der Pause war auch Kritik zu hören).

Annett Renneberg gab eine großartige "Königin der Nacht", zickig, am Rande der Hysterie, gleichzeitig verletzlich und sehr komisch, ein Opfer des Kunstleistungssports. Christian Grashof als ihr offenbar inzestuös verbundener, blinder, ständig saufender Vater war unspektakulär präzise und sehr, seht gut – ein interessanter Gegenpol zu Bechtolfs Figur. Die Nebendarsteller Barbara de Koy (als Garderobiere) und Michael Rotschopf (als Kellner) gefielen mit abgründiger Komik.

Kulturkanon

Die Inszenierung von Gerd Heinz ist klar, uneitel, unaufdringlich – Inszenierungen wie diese sieht man in letzter Zeit wieder häufiger, was definitiv nichts Schlechtes ist. Sie verrät die Tragik des Stücks nicht an den Klamauk, betont aber die Komik in Bernhards Text.

Bernhard ist nahezu 30 Jahre nach seinem Tod keineswegs vergessen. Er ist jetzt Teil des bürgerlichen Kulturkanons, was er möglicherweise als die schlimmere Strafe empfände.

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