Gershwin-Grass
Mit der All-Star-Band, die der heute 65-Jährige ursprünglich für das Album „My Bluegrass Heart“ (Grammy für bestes Bluegrass-Album 2022) zusammenstellte, spielte Fleck jüngst ein Arrangement von George Gershwins „Rhapsody in Blue“ ein – ein weiteres Signal, dass der Stil und die Instrumentierung auch für großes Konzertrepertoire tauglich sein kann. Das Stück ist auch Teil des Programms, mit dem die Band nun tourt.
Mit dem ländlichen Image der Country Music hatte der gebürtige New Yorker nie rasend viel am Hut – hatte ihm sein Vater, ein Musikprofessor, doch avancierte Musik buchstäblich in die Wiege gelegt und ihn „Béla Anton Leoš“ (nach den Komponisten Béla Bartok, Anton Webern und Leoš Janáček) getauft. Und doch landete er früh beim Banjo, und das Herz für Bluegrass hörte nie zu schlagen auf.
„Ich bin nun nach über 20 Jahren zu dieser Musik zurückgekehrt und wollte ein paar der Konzepte einbringen, die ich in anderen musikalischen Welten gelernt habe“, erklärt Fleck im eMail-Interview mit dem KURIER. „Jazz, indische und klassische Musik waren starke Fokuspunkte meiner Arbeit, und es war unvermeidlich, dass einige Ideen von dort durchsickerten. Aber auch die Musikerinnen und Musiker im Bluegrass haben sich verändert. Es gibt heute viel mehr von ihnen, die auf einem sehr hohen Level spielen, und das erlaubt mir, meine Vorhaben umzusetzen. Außerdem bin ich jetzt der alte Typ, und sie müssen auf mich hören!“
Fiddler & Picker mit gutem Ruf
Flecks Mitmusiker – der Gitarrist Bryan Sutton, die Mandolinistin Sierra Hull und ihr Partner Justin Moses (Dobro), der Violinist (im Genre immer noch „Fiddler“ genannt) Michael Cleveland und der Bassist Mark Schatz – sind allesamt Meister ihres Instruments und werden in ihren jeweiligen Communitys hoch verehrt. Fleck hatte schon in der Vergangenheit vergleichbare All-Star-Bands zusammengestellt und Alben aufgenommen, die heute als Meilensteine des Genres gelten – allen voran das Album „Drive“ (1988).
Wobei „Drive“ jene rhythmische Idee meint, die Bluegrass als Musik noch mehr definiert als ein bestimmtes Instrument. „Ein Freund erklärte es mir so: Sechs Musiker stehen am Dach von sechs Waggons eines fahrenden Zuges. In der Mitte ist das Zentrum des Beats. Wenn sie nach vorne gehen, sind sie vor dem Beat, wenn sie nach hinten gehen, dahinter. Aber der Zug kommt deswegen nicht früher oder später an! Guter Bluegrass lehnt sich meist nach vorne – und richtig gespielt, wird die Musik nie schneller, auch wenn es sich so anfühlt.“
Herausforderung
Dass die Kompositionen Flecks neben ordentlichem Tempo auch erhebliche Komplexität aufweisen, macht sie zur echten Herausforderung – irrwitzige Tempowechsel oder ungerade Taktarten sind gern verwendete Stilmittel, der Opener des Albums heißt nicht zufällig „Vertigo“ (Schwindel). „Diese Version von Bluegrass hat viel Aufregung eingebaut – vielleicht, weil wir jeden Moment vom Zug runterzufallen drohen“, sagt Fleck, der sich ein wenig auch als Botschafter einer Musik sieht, die viele enthusiastische Fans hat, in manchen Teilen Europas aber wenig Resonanz findet.
„Ich freue mich, diese Musik hier vorzustellen, wo Bands dieses Kalibers selten auftreten“, sagt Fleck. „Man muss kein Country-Fan sein, um Bluegrass zu mögen – in der Tat scheint es so, dass viele Leute, die Country nicht mögen, Bluegrass lieben. In vielerlei Hinsicht ist die Sache ja näher an Flamenco oder Django Reinhardt dran – akustische Musik auf hohem Niveau, mit dem Fokus auf Improvisation und Energie.“
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