„Intendant der Hölle“
Zentral ist für ihn die Frage, wer ist dieser Don Alfonso? Der Drahtzieher des Geschehens, der zwei junge Männer namens Ferrando und Guglielmo zu einer Wette um die Treue ihrer Verlobten herausfordert. Bei Kosky ist er Theaterdirektor/Regisseur. „Sein Experiment ist furchtbar sadistisch.“ Er ist ein typischer Repräsentant toxischer Männlichkeit in der Midlife-Crisis, ein frauenfeindlicher Misanthrop, „ein Intendant der Hölle“: Es sei „wichtig, dass man ihn richtig unsympathisch zeigt, nicht als charmanten Gentleman“. Darin ist er sich mit dessen Darsteller, dem charismatischen Briten Christopher Maltman, einig. „Er findet das toll, er hält Don Alfonso für einen Sadisten wie Scarpia in der ,Tosca“. Wenn sich heute ein Regisseur am Theater so benimmt, würde man ihn sofort kündigen. Der hätte keine Chance mehr“, führt Kosky aus.
Klingt da etwa eine Art Überschreibung mit? Ein Tribut an Forderungen von Gleichstellung? Denn zurecht wird dieser Oper seit deren Entstehung eine extreme Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. „Ich werde den Text nicht neu schreiben und nichts streichen. Das kann ich bei manchen Operetten machen, da ist es sogar manchmal notwendig, wenn der Text nicht so gut ist. Aber bei Così geht es darum, den Stoff zu interpretieren“, stellt Kosky klar, räumt aber ein: „Bei Da Ponte sind die Frauen aristokratische Mädels, die warten müssen, bis die Männer handeln. Das kann man natürlich jetzt in unserer Zeit nicht mehr so zeigen. Wenn Don Alfonso den beiden Männern in einer frauenfeindlichen Rede erklärt, wie Frauen sind, müssen Fiordiligi und Dorabella dabei sein, damit sie darauf reagieren können. Das macht einen großen Unterschied.“
Alfonso erklärt den beiden Frauen, dass ihre Männer unvorhergesehen sofort in den Krieg ziehen müssen. Ist das Teil seines Spiels im Spiel? „Das muss echt sein“, betont er. Kosky lässt nicht bloß eine Theatertruppe in einer Rahmenhandlung „Così“ in Szene setzen. „Das Experiment findet wirklich so wie in Mozarts Oper statt, nur in einer fast brechtianischen Brechung“, erklärt Kosky. Lassen sich Fiordiligi und Dorabella täuschen? „Sie erkennen relativ früh, was da gespielt wird, aber sie machen mit. Wir leben im 21. Jahrhundert. Das bedeutet, wir müssen auf der Bühne sehr klar sein. Don Alfonso hat Recht, wenn er sagt, dass die Frauen untreu sind, aber das sind auch die Männer. Man könnte sagen, Cosi fan tutti.“
„Wichtige Diskussionen“
Was sagt Kosky zu den heutigen Diskussionen über Diversität am Theater? „Diese Argumente, dass nur ein schwarzer Tenor den Otello singen darf oder eine japanische Sängerin die Butterfly, halte ich für unsinnig. Das heißt aber nicht, dass sich ein weißer Sänger schwarz schminken darf, das wäre Blackfacing und das ist ein Affront allen People of Colour gegenüber. Niemand hat ein Problem, wenn eine Sängerin als Butterfly einen Kimono trägt, das ist ein Kostüm und keine kulturelle Aneignung. Aber sie sollte sich die Augen nicht so schminken, als wäre sie eine Asiatin.“
Die Diskussion sei „in der Gesellschaft sehr wichtig. Ich bin dafür, dass man ein offenes Haus hat, aber in der Kunst entscheidet letztendlich die Qualität. In der Oper will ich die Besten auf der Bühne und im Graben haben, egal, welchen Geschlechts und welcher Herkunft sie sind. Die Qualität geht in der Debatte ein bisschen verloren. Das Problem ist, dass diese für unsere Gesellschaft so wichtigen Themen heute in einer Art behandelt werden, die nur polarisiert. Ich bin für den Dialog in der Kultur. Aber lassen Sie uns optimistisch sein, das Pendel muss so weit ausschwingen, um irgendwann eine Balance zu finden.“
Noch heute ist seine hochspannende Intendanz am Wiener Schauspielhaus vielen in Erinnerung. Würde er hier wieder ein Haus übernehmen wollen? „Man hat mir vor ein paar Jahren die Volksoper angeboten, das Theater an der Wien, die Festwochen, aber nach zehn Jahren an der Komischen Oper in Berlin, die meine Familie geworden ist, fokussiere ich mich auf meine kreative Arbeit als Regisseur. Aber wer weiß, vielleicht denke ich in ein paar Jahren wieder anders über diese Dinge.“
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