Die Revolutionäre können einem schon leidtun. Ihre Bildsprache und ihr Vokabular – Freiheit! – wurden im Internet längst vom Narrensaum gekapert und auf Null entwertet. Eine endlose Armee an Clowns kämpft online mit wirklich sehr scharfen Kommentaren gegen die jeweils gefühlte Diktatur von oben, ein Pseudo-Revolutionär neben dem anderen.
Zu dieser Mummenschanzierung der Revolution steuern auch die Wiener Festwochen heuer einiges Ungutes bei: Milo Rau spielt aus dem wohligen Bett der Millionensubvention heraus Protest, und keiner lacht.
Auch nicht, wenn die Rapperin KDM Königin der Macht im Auftrag der Festwochen am Freitagabend auf dem Rathausplatz noch „Illoyalität gegen Führer und Obrigkeit“ sowie das „Brechen von Regeln“ fordert (und, natürlich, einen Waffenstillstand von Israel, man ist ja unter sich). Und seither in einer Einspielung vor jeder Festwochen-Vorstellung auf pseudolustige Art einmahnt, dass sich ja alle an die Regeln halten und niemand Fotos von der Kunst mache.
Das „Freie“ an der „Freien Republik Wien“ endet da augenblicklich, wo es ums eigene Geschäft geht.
Wie nah dieses Revolutionsspiel ohne Einsatz an einer Verhöhnung jener ist, die – wie die mutigen Frauen im Iran, die Dissidenten in Russland – unter Einsatz ihrer Freiheit, ihres Lebens wirklich gegen Unrecht aufbegehren, das zeigen die Festwochen dankenswerter Weise gleich selbst. Denn bei „Barocco“ des russischen Starregisseurs Kirill Serebrennikov – eine erste Version inszenierte er im Hausarrest – geht es um jene Menschen, die in ihrer Verzweiflung gegenüber den Umständen bis zum Äußersten gehen (und nicht nur bis ins Festwochenbüro in Wien).
Inspiration dieser Musik-Tanz-Theater-Ode an die Freiheit war die Selbstverbrennung der Journalistin Irina Slawina aus Protest gegen die russische Diktatur. Serebrennikov entspinnt den Zwei-Stunden-Abend um den Begriff des Feuers; man hört schöne Barockarien ebenso wie eine witzige weltmusikalische Abhandlung über den Tod oder auch, zuletzt, die harten Gitarren der längst abgeblasenen Revolution der Rockmusik.
Freiheitskämpfe sind, das weiß man spätestens seit dem Sturm auf die Bastille, immer nah am Kitsch und am Pathos gebaut. Davor hat auch dieser Abend über einige Momente keine Scheu. Der musikalische Leiter des Abends, Daniil Orlov, wird gegen Ende von einem Polizistendarsteller auf die Bühne geführt, wo er – die eine Hand frei, die andere an einer Handschelle gefesselt – einhändig Bachs „Chaconne“ am Klavier spielt. Man möchte das nicht peinlich finden, schließlich ist Serebrennikov wirklich einer, der sich gegen Putin auflehnte, und es gibt einen realen Bezug in Putins Russland, aber naja.
Überhaupt: Die Musik. Die wird hier weniger aufgeführt denn gebraucht. Lully, Händel, Telemann und mehr Best-of-Barock treffen auf E-Gitarre, Keyboard-Schwulst und Rockschlagzeug, und da erinnert man sich gleich wieder an all die guten Gründe, warum Crossover in der Versenkung verschwunden ist.
Letzte Generation
Die Collage zielt denn auch insgesamt mehr auf eine rückversichernde Auffächerung der Revolutionsgeschichte als wirklich auf Revolution. Natürlich darf da die „Letzte Generation“ mit plakativen Sprüchen auf T-Shirts nicht fehlen; ebenso wird auf den Tschechen Jan Palach, der sich 1969 aus Protest gegen die Sowjetunion verbrannte, verwiesen.
Über weite Strecken bekommt die Nummernrevue zum Thema Revolution einen eigenen Sog, eine wehmütige Schönheit etwa im Tanz rund um ein fliegendes Müllsackerl oder durch ihr Beharren darauf, dass der Kampf um die Freiheit von keiner Diktatur aus der Welt geschaffen werden konnte – und wohl auch nie wird. Mit diesem Gefühl würde man gerne nach Hause gehen, das Publikum auch, es jubelte.
Bühne, Regie, Kostüme stammen von Kirill Serebrennikov. Musikalische Leitung: Daniil Orlov, Choreografie: Ivan Estegneev und Evgeny Kulagin, Video: Ilya Shagalov,
Mit Odin Biron, Felix Knopp, Tilo Werner, Svetlana Mamresheva, Yang Ge, Victoria Trauttmansdorff, dem brasilianischen Straßensänger Jovey und Nadezhda Pavlova.
Reprise
Noch heute, Montag, und am Dienstag, im Burgtheater. Info und Tickets:
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