Barbara Albert: "Ich möchte berührt werden"

Maria Dragus (li.) als Pianistin Resi Paradis, Maresi Riegner als Kammerzofe: „Licht“
Barbara Albert über "Licht", ihr zartfühlend-witziges Porträt der blinden Rokoko-Pianistin Resi Paradis

Barbara Albert war es, die vor bald zwanzig Jahren das "österreichische Filmwunder" mit einläutete: Ihr urbanes Jugenddrama "Nordrand" (1999) trat im Wettbewerb von Venedig an und heimste internationale Preise ein. Es folgten aufsehenerregende Arbeiten wie "Böse Zellen" (2003) oder "Fallen" (2006). Nun hat die Wiener Regisseurin, derzeit wohnhaft in Berlin, ein weiteres, hervorragendes Teenager-Porträt abgeliefert: "Licht" (ab Freitag im Kino) erzählt von der jungen blinden Pianistin Maria Theresia "Resi" Paradis (Maria Dragus), die zu Zeiten von Maria Theresia als Wunderkind galt. Sie kam in Behandlung des Arztes Franz Anton Mesmer (Devid Striesow), dessen ungewöhnliche Behandlung ihr kurzfristig das Augenlicht zurückgab. Ein Gespräch mit Barbara Albert über den Blick auf blinde Menschen. Abhängigkeiten und ein lachendes Wiener Publikum.

KURIER: Die blinde Pianistin und Komponistin Resi Paradis war zu Lebzeiten sehr prominent und verkehrte mit Mozart und Haydn. Warum kennt sie heute kein Mensch mehr?

Barbara Albert: Es hat sich nach ihrem Tod niemand bemüßigt gefühlt, sie im Licht zu behalten. Wenn Männer im Licht stehen oder Genies sind, dann gibt es entweder Männer oder Frauen, die nachher sagen: Das ist ein wichtiger Mann, der muss bleiben. Bei einer Frau gibt es halt oft vor allem die Männer nicht, die sagen: Das ist eine wichtige Frau, die muss bleiben. Aber es ändert sich langsam: Es werden neue Geschichten für wichtig erachtet, und diese auch aus weiblicher Perspektive erzählt.

Sie erzählen in Ihren Arbeiten durchgehend aus weiblicher Perspektive, doch "Licht" ist Ihr erster historischer Film. Was hat Sie an der Coming-of-Age-Geschichte aus dem Rokoko interessiert?

In dem Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" von Alissa Walser, (auf dem das Drehbuch von Kathrin Resetarits beruht, Anm.), wird die Figur der Resi sehr präsent gemacht. Ich finde es berührend, dass sie zuerst dieses monströse Kind ist, das nicht passt – nicht einmal den eigenen Eltern. Die Eltern genieren sich für sie und mascheln sie andauernd zurecht. Beim Lesen hat mich das richtig wütend, aber auch traurig gemacht. Dabei ist Resi eine widerspenstige, manchmal auch garstige Figur, die es einem nicht leicht macht.

Das Erwachsenwerden der Protagonistin hat ja auch buchstäblich mit Sehen lernen zu tun?

Das war mir für ihren "Coming of Age"-Prozess sehr wichtig. Sie sieht erstmals Menschen ins Auge und fragt sich: Was ist der Mensch? Meiner Drehbuchautorin Kathrin Resetaris und mir ging es auch genau darum: Was ist der Wert des Menschen? Mir gefällt, wie Resi naiv und pur auf Dinge schaut. Sie bewegt sich am Rande einer Gesellschaft und wertet sie nicht. Umgekehrt wertet die Gesellschaft sie die ganze Zeit.

Macht man als Filmemacherin von blinden Menschen andere Bilder als von sehenden?

Oh ja. Meine Kamerafrau Christine A. Maier und ich haben gemerkt, dass wir sehr wohl anders auf diese Figur schauen. Du machst bei einer blinden Frau beispielsweise keinen klassischen Schuss-Gegenschuss. Gleich die allererste Einstellung des Films, wo wir sie ganz nah und voyeuristisch betrachten, hat mich sehr interessiert: Ich schaue sie an, aber sie sieht mich nicht. Was macht das mit mir als Zuschauerin? Ich betrachte sie zuerst wie ein Objekt – aber ab wann wird sie mir so nahe, dass ich Sympathie für sie empfinde?

Ihr Film spielt in Wiener Hofkreisen, in denen sich die Sprachen wie das Wienerische und Französische mischen – mit oft sehr witzigen Effekten.

Barbara Albert: "Ich möchte berührt werden"
Die österreichische Regisseurin Barbara Albert im Interview. Wien, am 27.10.2017.
Ich habe mich gefreut, dass die Wiener bei der Premiere so gelacht haben. Bei den Streitereien um die Erbtheorie zwischen den "Ovulisten" und den "Spermisten" lachen in fast allen Ländern alle gleich. Aber hier habe ich gespürt, dass es noch ein genaueres Verständnis für die Sprache gibt – und dass nicht nur ich lache. (lacht)

Resi begibt sich in die Behandlung von Franz Anton Mesmer, einer Art charismatischem Wunderheiler. Wie würden Sie dessen Methoden beschreiben?

Für mich ist Mesmer kein Zauberer, auch wenn er erst aus Wien und dann aus Paris als Hexer vertrieben wurde. Er war immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Ich glaube, dass er einfach Menschen berührt hat, die nie davor liebevoll oder auch nur wertfrei berührt worden sind. Er hat einfach über seine Hände beruhigt. In der damaligen Gesellschaft wurde in gewissen Schichten der Körper nicht angegriffen. Und dann kommt dieser Arzt und berührt seine Patienten – und das macht etwas mit ihnen. Ich glaube, Mesmer hat seinen Patienten Raum gegeben, so wie später ein Freud. Er hat mit ihnen Gespräche auf Augenhöhe geführt, was unüblich war. Ich würde das als eine Art Vorform von Psychotherapie bezeichnen.

Resi beginnt wieder zu sehen, gleichzeitig nimmt ihre musikalische Begabung ab. Warum?

Ich glaube, hätte sie länger Zeit gehabt, hätte sie sehen und Musik machen können. Sie hat nur die Zeit dafür nicht bekommen – hauptsächlich von ihren Eltern. Aber ich wollte die Geschichte nicht auf den Konflikt "entweder Augenlicht oder Genie" zuspitzen. Sie hat für sich die größtmögliche Freiheit gewählt, aber mehr war für sie, mit ihrem Geschlecht und in der Zeit, in der sie gelebt hat, nicht möglich. Und es gibt Momente, wo ich mich frage, ob es denn so notwendig ist, dass sie sieht. Es strengt sie an, nervt sie, und sie sieht dem Tod ins Auge.

Sie sagen, Ihr Film handelt vom Sehen lernen. Welche Bilder haben Sie dafür gesucht?

Ich wollte immer ganz nahe an der Figur erzählen, denn mir ist das Physische, das Haptische sehr wichtig. Ich möchte Gegenstände spüren, eine Nähe zu den Gesichtern und zu den Fingern herstellen, die etwas angreifen. Für mich ist Kino wirklich auch physisch. Ich möchte berührt werden, im wahrsten Sinne des Wortes.

Derzeit macht die Debatte über sexuelle Belästigung die Runde, die mit Harvey Weinstein in Hollywood begann: Dort traten zuerst vor allem Schauspielerinnen als Klägerinnen auf. Was haben Sie als Regisseurin für Erfahrungen gemacht?

Ich persönlich habe keine Belästigungen erfahren. Natürlich begegnet man manchmal Machtspielen, wo man sich denkt: Das brauche ich eigentlich nicht. Aber ich glaube, dass ich als Regisseurin auch in einer weniger großen Abhängigkeit stehe als Schauspielerinnen. Und es geht natürlich um Abhängigkeiten. Ich habe gerade einen Artikel über eine US-Schauspielerin gelesen, die davon erzählt, dass ihr Schritt in Richtung Autorin und Regisseurin sie davon abgehalten hat zu bleiben, als sie mit Harvey Weinstein in einem Hotelzimmer saß. Weil sie wusste, dass sie nicht nur Schauspielerin und daher von ihm abhängig ist, sondern dass sie es selbst in der Hand hatte. Ich glaube, dass deshalb viele Schauspielerinnen Regie führen und auch schreiben wollen – aus dem Gefühl heraus, nicht mehr von einer männlichen Industrie abhängig sein zu wollen. Denn die Industrie ist großteils männlich.

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