Bahnfahrt mit tödlichem Exit

Michael B. Jordan als Oscar Grant, der am Neujahrstag nach einer Prügelei in der Bahn von Polizisten aus dem Waggon geholt und dann im  Handgemenge erschossen wird
"Nächster Halt: Fruitvale Station": Sundance-Hit über die Erschießung des jungen Afroamerikaners Oscar Grant. Weiters: "Urlaubsreif", "Das magische Haus" und der neue "X-Men"

Am 1. Jänner 2009 erschoss ein Polizist im Zuge einer Prügelei den 22-jährigen Afroamerikaner Oscar Grant. Der Vorfall ereignete sich in der Bahnstation Fruitvale in der Nähe von San Francisco, wurde von vielen Passanten mitgefilmt und hatte öffentliche Unruhen zur Folge.

Vier Jahre später hatte auf dem renommierten Filmfestival in Sundance das Filmdebüt des schwarzen Regisseurs Ryan Coogler Premiere. In "Nächster Halt: Fruitvale Station" erzählt der erst 26-jährige Coogler den letzten Lebenstag des Oscar Grant und landete einen umgehenden Hit. Produziert von dem notorischen Harvey Weinstein, erhielt das gefühlsgeladene Melodram in Sundance den großen Preis der Jury, den Publikumspreis und jede Menge Medien-Echo. Es folgte ein internationaler Preisregen – doch bereits bei den Oscar-Verleihungen schien "Fruitvale Station" komplett vergessen. Keine einzige Nominierung erinnerte an den großen medialen Erfolg.

Doch auch die Kritik war nicht gänzlich einhellig. Im Branchenblatt Variety diskutierten die Chefkritiker temperamentvoll darüber, ob das Debüt ein kraftvolles Drama oder doch nur ein manipulativer Tränendrücker sei.

Tatsächlich ist "Fruitvale Station" ein "Ja/nein/vielleicht"-Film, sprich: er entwickelt immer wieder intensive, sehenswerte Momentaufnahmen aus dem Leben des jungen Oscar Grant. Gleichzeitig aber spielt er auch sehr berechenbar auf dem Gefühlsklavier. So triefen Interaktionen Oscars mit seiner Tochter vor Vater-Kind-Sentimentalität und stellen ein mögliches Familienglück recht schematisch dem arbeitslosen Alltag entgegen.

Toter Hund

In Rückblenden und mit viel authentisch bemühter Handkamera erzählt Coogler von Oscars verbüßter Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels. Doch dass Grant in Wahrheit ein gutes Herz hat, beweist er etwa mit seiner Zuneigung zu einem streunenden Hund, der schließlich totgefahren wird. Als Vorbote für sein eigenes Schicksal allerdings ein wenig eleganter Dramaturgiegriff.

Am besten gelingen Coogler die alltäglichen Beobachtungen des schwarzen Mittelstands: Familientreffen werden mit einer Leichtigkeit erzählt, die sich von der allegorischen Bürde des drohenden Schicksals befreien können.

Insgesamt aber wird stark darauf hingetrimmt, Oscar als schwierigen, aber anständigen Menschen hinzustellen. Als einen, der seine Ermordung nicht verdient hat. Doch gerade das sollte eigentlich selbstverständlich sein.

KURIER-Wertung:

INFO: "Nächster Halt: Fruitvale Station". USA 2013. 85 Min. Von Ryan Coogler. Mit Michael B. Jordon, O. Spencer.

Im Kino: "Nächster Halt: Fruitvale Station"

Auf der Leinwand sind Adam Sandler und Drew Barrymore längst ein altes Paar. Ihre wechselseitig-wirksame Comedy-Chemie bewiesen sie in den romantischen Komödien "The Wedding Singer – Eine Hochzeit zum Verlieben" und "50 erste Dates".

Frank Coraci, der bereits bei "The Wedding Singer" Regie führte, strapaziert in seiner zerrissenen Wiedervereinigungskomödie knappe zwei Stunden lang die Charismatik seiner beiden Stars, um eine länglich aufkeimende Liebesgeschichte zu erzählen. Die erste Begegnung der beiden Alleinerzieher – ein Blind Date – misslingt gründlich. Doch eine Urlaubsreise in ein afrikanisches Luxusressort, in dem die beiden mit ihren jeweiligen Kinder landen, bringt sie einander näher.

Nun gelten schlimme Kinder generell eher als Liebestöter in aufkeimenden Beziehungen. Doch bei Coraci entflammt die Liebe zwischen den Erwachsenen erst dann so richtig, als sie sehen, was für ein toller Papa und Mama der jeweils andere ist.

Gut und schön. Und einige Witze über das Leben (mit schlimmen Kindern) entwickeln auch immer wieder humorvollen Humus. Allerdings verzuckert Coraci seine affirmative Familienkomödie im Übermaß, singt das Hohelied guter Elternschaft mit allzu lauter Stimme und lässt auch sonst kaum ein (Gender-)Klischee aus.

KURIER-Wertung:

INFO: " Urlaubsreif". USA 2014. 117 Min. Von Frank Coraci. Mit Adam Sandler, Drew Barrymore, Bella Thorne.

Die europäische Antwort auf die amerikanischen Platzhirsche der Animationskunst – Pixar, Disney und Dreamworx – kommt aus Belgien und heißt Ben Stassen. Mit seinen beiden Euro-Hits "Sammys Abenteuer 1 und 2" im Rücken, lässt Stassen nun ein neuerliches Cartoon-Wunderwerk in 3-D los. Effektgewaltig erzählt er das Abenteuer eines kleinen, rothaarigen Katers namens Thunder. Nachdem dieser von seinen Besitzern ausgesetzt wurde, findet er in einem magischen Haus Unterschlupf. Dort residiert ein gutmütiger Zauberer, der ein ganzes Kinderzimmer voller Spielzeug zum Leben erwecken kann und mit seinen Tieren spricht. Allerdings ist der Star seiner magischen Vorführungen – ein fettes, weißes Kaninchen – überaus eifersüchtig auf den neuen Mitbewohner. Erst, als sie einer gemeinsamen Gefahr ins Auge blicken, halten Tiere und Spielzeug zusammen.

Stassens Einfallsreichtum und Witz scheint schier grenzenlos. Er entfesselt ein wahres Feuerwerk an visuellen Gags, die im Affentempo auf einen einprasseln.

Manchmal fast zu viel des Guten – denn man kommt mit dem Schauen kaum noch nach.

KURIER-Wertung:

INFO: "Das magische Haus". Animation. BL 2013. 85 Min. Von J. Degruson, Ben Stassen. Stimmen: Matthias Schweighöfer.

Dass die Zukunft im Kino selten gut aussieht, daran ist man längst gewöhnt. Doch in Bryan Singers drittem, famosen Zugriff auf das „ X-Men“-Franchise geht es in den kommenden Jahren besonders morbid zu.

In „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ verrotten Mutanten-Leichen in Massengräbern, während riesige Kampfroboter ein Terrorregime führen. Die verzweifelten Altvorderen – ewig huldvoll: Patrick Stewart als Professor X und der rabiate Magneto (Ian McKellen) – wissen nur einen Ausweg: Hugh Jackman als Muskelpaket Wolverine muss ins Jahr 1973 zurückreisen und dort ein Attentat verhindern. Nur so lässt sich die triste Zukunft der Mutanten – Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten – retten.

Nachdem er mit „X-Men“ und „X-Men 2“ das Superhelden-Genre neu angekurbelt hatte, demonstriert Regisseur Singer nun erneut, mit welcher Souveränität er sich im Reich der Marvel-Comics bewegt. Seine treffsichere Mischung aus augenschöner Action und psychologischem Konflikt zwischen den Superhelden sichert durchgehend höchste Aufmerksamkeit.

Allein der Tigersprung in die Vergangenheit gelingt Singer mit größter Nonchalance. Wolverine erwacht 1973 mit einem knurrigen Blick auf einen grüne Lavalampe. Bevor er noch bis drei zählen kann, hat er mit seinem spitzen Fingerknochen auch schon versehentlich ein Wasserbett angestochen.

Eindrücke vom neuen "X-Men"

Bahnfahrt mit tödlichem Exit

X-Men: Die Zukunft ist Vergangenheit…
Bahnfahrt mit tödlichem Exit

X-Men: Die Zukunft ist Vergangenheit…
Bahnfahrt mit tödlichem Exit

X-Men: Die Zukunft ist Vergangenheit…
Bahnfahrt mit tödlichem Exit

X-Men: Die Zukunft ist Vergangenheit…

Sensenmann

1973 hat Wolverine nämlich noch keine Metallkrallen. Anstelle der Stahlscheren fahren lange Knochen aus seinen Fingerwurzeln und lassen ihn aussehen wie Sensenmann: „Cool, aber grauslich“, sagt ein Mutanten-Kollege in einer Mischung aus Anerkennung und Ekel.

Glücklicherweise verzettelt sich Singer aber nicht in selbstverliebte Retro-Nostalgie, sondern beschränkt sich auf kleine Analog-Scherze. Dass es einmal eine Zeit gab, in der man die Namen von Menschen noch in Telefonbüchern aus Papier finden konnte, erscheint tatsächlich zum Lachen.

Michael Fassbender und James McAvoy als junge, charismatische Versionen von Magneto und Xavier laden mit ihrer Coolness die längliche Story ausreichend mit Pop-Energie auf. Eine witzige Version von Richard Nixon bespaßt amerikanische Vietnam-Politik.

Brennende Fragen tun sich auf: War John F. Kennedy womöglich auch ein Mutant? Und in einer gewaltigen Szene reißt Magneto ein riesiges Baseball-Stadion aus den Angeln und hängt es dem Weißen Haus wie eine Halsmanschette um.

Ob Bryan Singer, der sich wegen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, auch die für 2016 geplante Fortsetzung drehen wird, weiß noch niemand. Aber mit welch sicherer Hand er das X-Men-Universum zwischen glänzendem Blockbuster-Spektakel und sinnvollem Tiefgang zu entwerfen weiß, hat er wieder wunderbar bewiesen.

KURIER-Wertung:

INFO: "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit". USA 2014. 131 Min. Von Bryan Singer. Mit Hugh Jackman, J. McAvoy.

"Kreuzweg"

Drama. Die Teenagerin Maria Göttler (Lea van Acken, links im Bild) will eine Soldatin Jesu Christi sein. Soldatin sein heißt: Schlachten kämpfen – gegen satanische Rockmusik und schädliche Kinofilme. Als Anhängerin der radikalen katholischen Paulus-Brüderschaft versagt sie sich jegliche Lebensfreude – bis zum bitteren Ende. In vierzehn beinahe starren Tableaus erzählt der Deutsche Diedrich Brüggemann die Passionsgeschichte seiner Protagonistin. Seine Coming-of-Age-Geschichte, in der Franziska Weiß die grimmige Mutter spielt, entfaltet sich als strenge Tour de Force und erhielt auf der Berlinale den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

KURIER-Wertung:

"Zeit der Kannibalen"

Satire. Drei deutsche Unternehmensberater – zwei Männer und eine Frau – verlassen ihre luxuriösen Hotelzimmer nie. Sie führen Verhandlungen, demütigen Hotelangestellte und brüllen am Telefon mit der Ehefrau herum. Dabei übersehen sie, dass ein Bürgerkrieg ausbricht. Dialogstarkes, konzentriertes Kammerspiel von Johannes Naber, das sich zur bitteren Farce steigert.

KURIER-Wertung:

"One Chance"

Komödie. Bio-Pic über einen Brit-Handyverkäufer, der eine Castingshow gewann.

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