Ob Mictlantecuhtli, Herr des Totenreiches, der 23 cm große „Schlangengott“ Quetzalcoatl, eine der rätselhaftesten Gestalten in der Religionsgeschichte Altamerikas, oder Xipe Totec, der Gott des Frühlings ...
Der Kosmos der Azteken, die sich selbst „Mexica“ nannten, bestand aus 2.000 Göttern. Oder einem Gott in 2.000 Variationen.
Einen neuen, differenzierten Blick auf diese mesoamerikanische Zivilisation aus der Zeit zwischen dem 14. und dem frühen 16. Jahrhundert wirft die Ausstellung „Azteken“ im Weltmuseum Wien – eine Kooperation mit Stuttgarts Linden-Museum, dem Nationaal Museum van Wereldculturen (Niederlande) und dem Instituto Nacional de Antropologia e Historia in Mexiko.
Beginnend mit der „Peripherie“ und der natürlichen und kulturellen Vielfalt Mexikos, führt die Schau ins Innere des Reiches und seiner um 1325 gegründeten Hauptstadt Tenochtitlán, dem heutigen Mexiko-Stadt.
Weiter geht es in den Herrscherpalast des Kaisers Moctezuma und ins Innerste des Imperiums: den heiligen Bezirk mit dem Haupttempel Templo Mayor. Im Mittelpunkt stehen hier die Rituale und Opfergaben, etwa „personifizierte Opfermesser“ oder Schädelmasken aus echten Totenköpfen.
Wobei neueste Forschungs- und Ausgrabungsergebnisse präsentiert und erst kürzlich entdeckte, noch nie ausgestellte Opfergaben gezeigt werden.
Den Nachbarn Eigenständigkeit gelassen
Gezeichnet wird das Bild einer Hochkultur, eines politischen Imperiums, das von seinen militärisch unterlegenen Nachbarn zwar Tribute – Gold, Produkte, Arbeitskraft – forderte, aber ihnen ihre Eigenständigkeit beließ.
Bis es Opfer der goldgierigen spanischen Konquistadoren unter Hernán Cortés wurde, die dem Reich im Sommer 1521 den jähen Untergang bereiteten. Um ihre Eroberung zu legitimieren, zeichneten sie ein besonders blutrünstiges Bild der indigenen Kultur.
Wesentlich war, dass die in sechs Module gegliederte Aus-stellung den Azteken „ihre eigene Geschichte gibt. Und dass gemeinsam mit Kollegen aus Mexiko ein Bild entsteht, das auf aktuellen Erkenntnissen beruht“, sagt Weltmuseum-Direktor Christian Schicklgruber.
„Das Bildungssystem der Azteken wäre beispielhaft für das damalige Europa gewesen, ebenso die Kenntnisse der Medizin und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.“
Viel wurde geopfert. „Aber 80 Prozent waren Pflanzen und Tiere. Auch Menschenopfer, wir wollen das auch nicht verschweigen“, sagt Inès de Castro vom Linden-Museum, plädiert aber für „eine breite Sichtweise“. Der Opferkult hängt mit einer umfassenden Vorstellung von Kosmos und Religion zusammen. Opfer sind notwendig, um den Kreislauf des Lebens am Laufen zu halten, eine Dankesschuld an die Götter für ihre Mühen bei der Erschaffung der Welt.
„Unter der Führung der Spanier wurde das Reich der Azteken zerstört, die Intelligenz ermordet, die materielle Kultur weitgehend vernichtet“, so Schicklgruber. Getrieben habe die Europäer die Gier, der Hass – „und die Dummheit, eine Möglichkeit der gegenseitigen kulturellen Befruchtung verspielt zu haben. Was Hass, Gier und Dummheit als scheinbar primäre menschliche Instinkte anrichten, sehen wir jeden Tag in den Nachrichten.“
Die Weltgeschichte, weiß der Kulturpessimist, lehrt vor allem eines: Dass der Mensch nichts aus ihr lernt. „Aber die Folgen unseres Handelns zu zeigen“, so Schicklgruber, „ist grundlegende Verantwortung eines ethnografischen Museums. So gesehen ist die Ausstellung brandaktuell.“
Kommentare