Im Standard war kürzlich aufgrund der Ankündigung, dass die israelische Armee nach Rafah vorrücken werde, in einem Kommentar zu lesen: „Kinder, die vor Hunger schreien, Kranke ohne Chance auf Heilung, stillende Mütter, die sich am Feuer brennenden Plastikmülls wärmen – die Schilderungen aus dem Süden Gazas lassen einen erschaudern.“
Wie passt das mit einem „Who Cares?“ und den „Jüdischen Antworten auf Leid und Not“ zusammen? Der Titel klingt – zumindest vor dem Rundgang durch die Schau – ziemlich zynisch.
Zumal Barbara Staudinger ihr Katalog-Vorwort mit dem Satz beginnt: „Die Corona-Pandemie, die drohende Klima-Katastrophe, die multiplen Krisen unserer Zeit wie der Ukraine-Krieg und zuletzt der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 und der danach folgende Krieg haben uns vor Augen geführt, dass die Sorge um andere Menschen weit mehr als ihre medizinische Versorgung bedeutet.“
In der Ausstellung geht es, wie sich zeigt, um „Care“ im Sinne von „Pflege“ – und damit, so die Direktorin, um „ein weites Feld“, das sich von medizinischer Hilfe über „soziale und psychologische Fürsorge bis zu ökologischer Verantwortung“ erstrecke.
Freuds Penis-Amulett
Doch diesen globalen wie umfassenden Anspruch löst die Schau nicht ein. Sie entpuppt sich, kuratiert von Caitlin Gura und Marcus G. Patka, als Bestandsaufnahme von Leistungen jüdischer Ärzte, Hebammen, Fürsorgerinnen und Gesundheitseinrichtungen vornehmlich in Wien. Diese hat durchaus ihre Berechtigung, ist als Ausstellung jedoch nur mäßig spannend. Die Präsentation wurde daher mit Objekten aufgepeppt, die rein gar nichts mit dem eigentlichen Konzept zu tun haben – angefangen von einem Penis-Amulett, das Sigmund Freud in Süditalien erwarb, bis zu einer hinter Glas drapierten Zwangsjacke, einer Metallzange für Elektroschocks und einem „Gerät zur postkoitalen Spülung der Vagina“.
Um Krieg geht es auch ein bisschen. Jüdinnen, ansehnlich beschürzt und eingekleidet, leisteten jedenfalls im Ersten Weltkrieg Sanitätsdienst. Und man entdeckt – wie schon zuvor in der bis 26. Mai laufenden Schau „Frieden“ (am Standort Judenplatz) – einen österreichischen UNO-Blauhelm. Aber aus einem anderen Einsatz.
Zudem wurde das äußerst umfangreiche Material assoziativ mit Kunstwerken angereichert – darunter mit einem affichierten Riesenposter von Max Oppenheimers Ölgemälde „Operation“ aus 1951. Eine mit roter Farbe (Blut!) bespritzte Fotocollage mit dem Titel „Gewalt gegen Frauen“ darf nicht fehlen. Aus dem wilden Kunterbunt sticht zudem das Porträt „Julius Tandler“ von Herbert Boeckl aus 1930 heraus.
Linke Eugenik
Im Lesebuch „Umstrittene Wiener Straßennamen“ von Peter Autengruber, Birgit Nemec, Oliver Rathkolb und Florian Wenninger (2014) wird über Tandler, nach dem ein Platz benannt ist, ein differenziertes Bild gezeichnet. Der „typische Vertreter der frühen sozialistischen/linken Eugenik“ wird u. a. mit dem Satz zitiert: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass die 30.000 Vollidioten Deutschlands diesem Staat 2 Milliarden Friedensmark kosten.“ Die „Idee, dass man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten,“ werde irgendwann „ins Volksbewusstsein dringen“.
Doch die Sozialdemokraten glorifizieren Tandler weiterhin als Lichtgestalt – zuletzt in der Ausstellung über das Rote Wien. Da will das JMW mit seinem Saaltext zum Boeckl-Bild nicht nachstehen: „Der Anatom und Wiener Stadtrat Julius Tandler (1869–1936) gilt heute als bedeutendster österreichischer Politiker der Zwischenkriegszeit.“ So viel zum Museum als Ort der Aufklärung. Aber: Wen kümmert’s?
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