Kennen Sie den Maler Lionel Dobie? In Martin Scorseses Beitrag zum Episodenfilm „New York Stories“ (1989) wird er von Nick Nolte verkörpert: Ein instinktgetriebener Charakter, der im Schaffensrausch viel Farbe auf große Leinwände pappt, Selbstzweifel in Alkohol ertränkt, mit seiner Assistentin schläft und auf Vernissagen außerhalb des Loft-Ateliers von reichen Mäzenen umgarnt wird.
Auch wenn Dobie eine erfundene Person ist, verkörpert er doch gut ein Künstler-Klischeebild, das in den 1980er-Jahren en vogue war. Malerei war damals wieder angesagt, „Neue Wilde“ oder „Neoexpressionisten“ nannte man ihre Vertreter.
Überhaupt war sehr vieles neu in dieser Dekade, der die Albertina modern nun eine gleichermaßen ausufernde wie präzise Schau widmet: Die postmoderne „Alles geht“-Mentalität brachte nicht nur neue Stilbegriffe wie Neo-Geo oder Neo-Dada hervor, neu war auch die Käuferschicht dafür. Im wirtschaftsliberalen Klima von Reagan und Thatcher zu Geld gekommen, bescherte das Neo-Publikum dem Kunstmarkt einen bis dahin nicht gekannten Boom.
Torte ins Gesicht
Unter der Ägide von Angela Stief, jüngst zur Chefkuratorin und Direktorin der Albertina modern befördert, ist nun ein wahres Panoptikum des 80er-Zeitgeists in den Sälen des renovierten Künstlerhaus-Gebäudes zu sehen.
Wobei die Besucher und Besucherinnen am Beginn gleich einmal eine Ladung Kitsch wie die sprichwörtliche Torte ins Gesicht gehaut bekommen: Die riesige Skulptur eines Teddybärs neben einem Polizisten – von Jeff Koons ausgedacht und vom Oberammergauer Herrgottschnitzer Roman Stuffer ausgeführt – steht da vor einem schrillen, an Comic-Ästhetik angelehnten Wimmelbild des Franzosen Hervé Di Rosa, das ein bisschen so wirkt, als hätte es der deutsche Malerfürst Jörg Immendorff auf LSD gemalt.
Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten über all die Denk- und Malschulen, die sich in den 1980ern an unterschiedlichen Orten bildeten, aber doch vergleichbare Ideen und Ästhetiken hervorbrachten.
Der leichtfüßige Umgang mit Populärkultur und Kitsch ist ein gemeinsamer Strang, die Rückkehr zu figurativer Malerei und bildnerischen Erzählungen ein anderer. Der materialintensiven Expression – Lionel Dobies reale Kollegen heißen hier Siegfried Anzinger, Herbert Brandl oder Helmut Middendorf – stehen geometrische Formen und die Tilgung der individuellen Handschrift entgegen, etwa bei Gerwald Rockenschaub und Matt Mullican.
Die Ausstellung geht zwar von Albertina-Beständen aus, zeigt aber auch essenzielle Leihgaben von Protagonisten wie Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente oder Franz Gertsch. Und obwohl vieles groß und plakativ daherkommt, findet sich auch Unerwartetes und Unbekanntes: Die Gemälde der Österreicherin Isolde Maria Joham (*1932) etwa übersetzen die Glitzerwelt von Rodeoreitern und Harley-Davidson-Maschinen in einen überdrehten Hyperrealismus und sind Zeugnis des überschäumenden Bilderfundus jener Zeit.
Stars! Geld! Filmzitate!
Daraus bedienten sich auch jene US-Kunstschaffenden, die man heute als „The Pictures Generation“ zusammenfasst: Neben Cindy Sherman begegnet in der Schau hier Richard Prince, der sich ein Kinderfoto von Brooke Shields aneignete und es dem Star durch eine Inszenierung später wieder „zurückgab“.
Das endlose Spiel mit Zitaten, Copyright-Fragen, aber auch Hypes um Kunstpopstars wie Banksy oder KAWS, die nicht selten aus der Street Art stammen: Vieles von dem, was das Kunstfeld heute noch immer oder wieder beschäftigt, hat seine Wurzeln in den 1980er-Jahren. Die Schau der Albertina modern legt diese Hintergründe schlüssig dar – und ist auch für jene sehenswert, die die 80er stets furchtbar fanden.
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