„Ich wollte die Idee zum Ausdruck bringen, dass der Mensch dazu geboren ist, auf seinen eigenen zwei Beinen zu stehen“, erklärte Simone Fattal bei der Eröffnung ihrer Solo-Schau im Hauptraum der Wiener Secession. „Ein stehender Mensch kann kämpfen, kann sich behaupten.“
Fattals Tonfiguren, die fast nur aus zwei Beinen zu bestehen scheinen, heißen folglich auch „Guerriers“, Krieger – es wohnt ihnen aber nicht unbedingt ein aggressives Moment inne, eher etwas Beharrliches. Es sind einfache Formen, die nichtsdestotrotz den Saal der Secession dominieren, in dem auch noch andere Werkstücke der 82-Jährigen Künstlerin – Collagen, Gemälde, Zeichnungen – ausgebreitet sind.
"Non-temporary" statt "Con-temporary"
Es gehört zu den magischen Erlebnissen in der Begegnung mit Kunst, wenn vorderhand unspektakuläre Dinge plötzlich einen Sog entfalten, eine Schwere und Präsenz, die im letzten Detail nicht erklärlich scheint. Fattals Keramiken besitzen diese Eigenschaft, zumal sie in ihrer Machart zeitlos scheinen – es könnten auf den ersten Blick auch archäologische Fundstücke sein, das „Archaische“ an ihnen wird gerne betont. In einer Welt, in der alles „contemporary“ und digital ist, bietet die Schau auch durchaus ein ästhetisches Durchatmen an.
„Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich die Vergangenheit erneut aufsuche“, erklärt Fattal allerdings in der Begleitpublikation zur Schau. „Ich spreche von der Gegenwart, aber durch Formen, die mich bewohnen und die die Vergangenheit enthalten.“
Syrien-Frankreich-Libanon-Kalifornien
An diesem Punkt wird auch jener Teil des Publikums, der von der international hochdekorierten, zuletzt auf der Venedig-Biennale 2022 prominent vertretenen Künstlerin noch nie gehört haben, auf deren Biografie aufmerksam werden – eine bewegte Lebensgeschichte zwischen Westen und Osten, geprägt von Kriegserlebnissen. 1942 in Damaskus geboren, ging Fattal zunächst zum Studium der Philosophie an die Sorbonne nach Paris, um ab 1969 in Beirut zunächst als Malerin Fuß zu fassen.
Der libanesische Bürgerkrieg veranlasste sie in den 1980ern zur Emigration nach Kalifornien, wo sie als Verlegerin tätig wurde – unter anderem für Werke ihrer Lebensgefährtin Etel Adnan, die sie 1972 kennengelernt hatte. Auch Adnan – sie starb 2021, Fattal war bis zuletzt ihre Partnerin – war eine Grenzgängerin, die vom literarischen ins Bildkünstlerische wechselte und zu einer Formsprache fand, hinter deren scheinbarer Einfachheit eine ganze Welt lauerte.
Auch in Fattals Arbeit – die in der Wiener Schau von keinen biografischen oder sonstigen Erläuterungen begleitet wird – lässt sich die Tiefe der Auseinandersetzung erspüren. Alles scheint Spuren zu legen, die in alle möglichen kulturellen Richtungen führen.
Berührend sind hier insbesondere jene Keramiken, die als Nachbildung von Wolken intendierte: Der Versuch, eine starre Form für etwas zu finden, das sich ständig bewegt, verändert, keine fixe Form hat und doch in der einen oder anderen Weise immer da war, ist paradox und bringt doch das künstlerische Streben Fattals auf den Punkt.
Auch in den auf Schachteln aufgeklebten Collagen, die einen weiteren Teil der Schau ausmachen, fällt letztlich alles zusammen: Ein sumerisches Siegel, eine Notation von Beethovens 9. Symphonie, Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“, der ähnlich breitbeinig dasteht wie die „Krieger“-Figuren aus Ton. Der Krieg bringe das Alte gleichermaßen in Gefahr wie unsere Existenz heute, sagt Fattal im Katalog. Die Ausstellung ist eine Aufforderung zum Stehenbleiben, die auf einer ganz elementaren Ebene berührt.
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