Christian Friedel: Die Rolle hat sich in meinem Körper abgespeichert, weil es so eine Mischung war zwischen der Verantwortung, die man spürt, und den Bildern aus dem KZ, die man im Kopf hat. Dann hatte ich durch das System, wie wir gedreht haben – mit mehreren Kameras gleichzeitig – die ganze Zeit das Gefühl, ich würde observiert. Also es war sehr intensiv. Ich hab schon gemerkt, dass ich ein bisschen gebraucht habe, das auszuschütteln. Es hat mich mehr mitgenommen, als ich am Anfang gedacht habe. Das war ein ganz schön intensiver Cocktail. Diese Arbeit und die Verdrängung des Bösen sind eine große Aufgabe für den Körper. Höß war ja fähig, das alles zu verdrängen. Ich meine, wie kann man leben, morgens zur Arbeit gehen und nachmittags mit den Kindern spielen und dazwischen Menschen umbringen?
Was den Horror verstärkt, ist die Tonspur. Dass man die Grausamkeiten und das Morden nicht sieht, sondern nur hört, was Grausames vor sich geht und sich in seiner Fantasie die Bilder dazu denken kann.
Wir haben in vollkommener Stille gedreht, wussten aber, dass es die Tonspur dazu geben wird. Das war total wichtig, um das Verhalten von Höß und seiner Frau zu spüren. Wozu wir fähig sind. Jeder fragt sich ja, wie können die sich nur so normal verhalten, wenn sie die ganze Zeit diese permanente Geräuschkulisse hatten. Diese Gerüche, die ja auch da sein mussten. Dass man dieses Spannungsverhältnis spürt im Film, war wichtig. Als wir den fertigen Film das erste Mal gesehen haben, war das natürlich Wahnsinn. Die Tonspur ist eigentlich der heimliche Hauptdarsteller des Films. Das, was du nicht siehst, ist das, was am meisten dieses unheimliche, unangenehme Gefühl macht, wenn man den Film anschaut.
Bereitet es Ihnen Sorge, dass die Rechtsextremen wieder in ganz Europa Aufwind haben? Dass die Menschen das Böse, das auf uns zukommt, nicht sehen wollen?
Ich habe da schon Ängste und bin froh, dass jetzt sehr viele Menschen auf die Straße gehen. Dass man das Gefühl hat, es gibt schon ein Bewusstsein, aus den Fehlern der Geschichte zu lernen. Ich habe auch die Hoffnung, dass wir in unseren Ländern, in Österreich und Deutschland, ein Rechtssystem haben, das nicht so einfach ausgehebelt werden kann. Aber es macht mir schon Angst, wie weit auch im eigenen Bekanntenkreis Menschen gehen und sagen; Ja, ich wähle eine Partei, obwohl ich weiß, dass dort rechtsradikale Strömungen sind, und ich akzeptiere das. Da frage ich mich, ob das nicht schon der erste Schritt der Ignoranz ist. Deswegen finde ich es toll, dass es die Kunst gibt, die uns immer wieder erinnern und inspirieren sollte. Dass es ein ganz schmaler Grat ist, wie schnell das gehen kann, dass ein System sich ändert und dass Menschen bereit sind, das zu tolerieren.
Am Ende gibt es eine Schlüsselszene, wo Sie – auch aus Ekel vor sich selbst – kotzen müssen. Wie haben Sie diese Szene empfunden?
Ich hatte sehr viel Angst vor dieser Szene, weil ich seit 25 Jahren nicht mehr erbrochen habe und wusste, dass Jonathan auf der Suche nach Authentizität war. Wir hatten dann auch darüber gesprochen, was denn dieser Zustand ist. Es ist ja nicht wirklich eine Krankheit, die Höß hat. Der Körper rebelliert, er möchte diese Seele abstoßen. Es ist wie ein Kampf Körper gegen Seele. Wenn ich jetzt den Film sehe, finde ich, man spürt das, dass das mehr ist als nur eine Krankheit. Ich glaube, dass dieser Mensch nie fähig war zu reflektieren, was eigentlich seine Schuld war. Er hat sich auch nie entschuldigt. Wie Hedwig Höß. Die hat immer nur erzählt, nein, ich wusste nichts, das ist nicht passiert. Aber ich stand in dem Haus, ich stand in dem Kinderzimmer. Du konntest über die Mauer gucken, du hast direkt auf die Gaskammer 1 geguckt. Da kannst du nicht sagen, ich wusste nichts.
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