Der Blick des Vielseitigen

Der Blick des Vielseitigen
Der iranische Oscar-Preisträger Asghar Farhadi über sein neues, exzellentes Drama "Le Passé".

Souverän betrat der iranische Regisseur Asghar Farhadi die Bühne des großen Weltkinos. Für seine hervorragende Scheidungsstudie „Nader und Simin – Eine Trennung“ (2011) erhielt er den ersten Oscar für das iranische Kino. Und gewann einen Goldenen Bären der Berlinale.

Sein neues, ebenfalls exzellentes Drama um ein getrenntes Paar, „Le Passé – Das Vergangene“ (ab Freitag im Kino) lief vergangenes Jahr im Wettbewerb von Cannes. Hauptdarstellerin Bérénice Bejo – bekannt aus „The Artist“ – wurde dort für ihr nuanciertes Spiel mit dem Preis für die beste Schauspielerin ausgezeichnet.

„Diese internationalen Auszeichnungen haben mir viel Selbstvertrauen gegeben“, sagt Asghar Farhadi im KURIER-Interview: „Es hat mir bewiesen, dass die Zuseher auch mit komplexeren Filmen umgehen können. Genau das habe ich vor: Noch tiefer in menschliche Beziehungen einzudringen, ohne zu fürchten, dass das Publikum das nicht sehen will.“

Nach Frankreich

Der Blick des Vielseitigen
Film: Le Passe
Mit „Le Passé – Das Vergangene“ verließ Farhadi den religiös-kulturellen Kontext des Iran und verpflanzte seine neue Scheidungsgeschichte in eine schäbige Pariser Vorstadt. Dorthin kehrt Ahmad (bestens: Ali Mosaffa), der vor vier Jahren seine französische Frau Marie ( Bejo) verlassen hat, zum offiziellen Scheidungstermin zurück. Er zieht vorübergehend wieder bei Marie ein und beobachtet ihren verzweifelten Versuch, mit dem neuen Freund eine Patchwork-Familie zu gründen. Gleichzeitig brechen auch alte Wunden aus der Vergangenheit auf.

„Ich knüpfe mit dieser Geschichte an ,Nader und Simin‘ an, weil beide Arbeiten sehr viel mit Familie zu tun haben“, erklärt der 42-jährige Regisseur: „Die Familie ist zwar selbst eine kleine, sehr spezifische Einheit. Gleichzeitig aber erzählt sie viel über eine Gesellschaft.“

Genauso gut hätte er übrigens die Geschichte auch im Iran ansiedeln können, behauptet Farhadi weiter: „Es hätten sich nur oberflächliche Details verändert.“

Zum Beispiel jene Szene, in der ein Vater seinen Sohn dazu drängt, sich bei dem iranischen Ex-Ehemann zu entschuldigen: „Im Iran würde man so eine Szene nicht als glaubwürdig empfinden“, so der Regisseur, der sich die Drehbücher selbst schreibt: „Diese Form der Entschuldigung wäre inakzeptabel. Der Iraner würde einfach sagen: ,Vergiss es.‘ Aber prinzipiell habe ich mich weniger um kulturelle Unterschiede, sondern mehr ums Gemeinsame, um das Universelle bemüht.“

Wie ein Thriller

Zu den großen Stärken in Farhadis Dramen, die oft spannend wie ein Thriller ablaufen, gehört seine genaue Beobachtung menschlichen Verhaltens: Er sieht zu, ohne moralisch zu verurteilen. So steht zum Beispiel zwischen Marie und ihrem neuen Freund Samir – hervorragend: Tahar Rahim – dessen Ehefrau: Diese liegt im Spital, nachdem sie nach einem Selbstmordversuch ins Koma fiel. Nun zehrt die Frage nach der Schuld an der neuen Liebesbeziehung.

Immer wieder aber wechselt Farhadi die Perspektiven und bringt neue Aspekte ins Spiel, die alles verändern: „So ist es ja auch im wirklichen Leben“, findet Farhadi: „ Ich habe immer meine eigene Sicht auf die Dinge, aber mein Nachbar sieht das vielleicht ganz anders.“ Deswegen habe er sich auch durchgehend darum bemüht, viele Details ambivalent zu halten: „Samir hat zum Beispiel ein Augenproblem, aber wir wissen nicht: Ist er allergisch auf die Farbe, mit der das Haus ausgemalt wird? Oder weint er? Und wenn man schon bei solchen Kleinigkeiten unsicher ist – wie kann man da Sicherheit über die wirklich großen Dinge haben?“

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