APA-Chef Pig: „Medienschaffende sollten hoch sensibilisiert sein“
Er führt Österreichs stillen Info-Riesen: Clemens Pig ist Geschäftsführer der Austria Presse Agentur. Die Genossenschaft (s. unten) ist so etwas wie das Rückgrat des Medienstandortes Österreich. Mit dem Buch „Democracy Dies in Darkness“ hat Pig nun seine Analyse der Informationsgesellschaft in Zeiten von Fake News und Propaganda vorgelegt. Er zeigt auch die Chancen und Gefahren der technologischen Herausforderungen in der Nachrichtenwelt durch KI auf. Der Buch-Titel ist übrigens entlehnt von der Washington Post. Die hatte ihren Slogan nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten adaptiert.
Zur Person
Clemens Pig ist (seit 2016) Vorsitzender der Geschäftsführung der APA, Vizepräsident des Verwaltungsrats der SDA und Präsident der Allianz der Europäischen Nachrichtenagenturen EANA. Der Innsbrucker (49) studierte Politikwissenschaft. Er gründete das Startup MediaWatch mit. Mit dessen Verkauf an die APA wechselte er 2008 in deren Geschäftsleitung
Zum Unternehmen
Die APA ist eine Genossenschaft im Eigentum heimischer Tageszeitungen und des ORF und begeht 2024 das 175-Jahr-Jubiläum. Sie ist in den Bereichen Nachrichten- und Bildagentur sowie Informationstechnologie und Informationsmanagement tätig. Umsatz 2022: knapp 75 Mio. Euro
„In gewisser Weise ist das Buch auch eine Art von persönlicher Aufarbeitung“ der vergangenen dreieinhalb Jahre, erklärt Pig, der auch Präsident der Allianz der Europäischen Nachrichtenagenturen (EANA) ist. Denn „mit Beginn der Corona-Pandemie sind ja viele Phänomene aus den USA nach Europa übergeschwappt“, so sein Befund. Unabhängigen Medien war es fast nicht mehr möglich, problemfrei von Anti-Maßnahmen-Demonstrationen zu berichten. Verschwörungstheorien hätten zugenommen, die gesellschaftliche Polarisierung habe sich verstärkt. „Die Zuversicht, mit der man nach dem letzten Lockdown ins neue Jahr 2022 gestartet ist, wurde dann Ende Februar durch diesen brutalen russischen Angriff auf die Ukraine zunichte gemacht“ – mit Folgen, wie der Inflation, auch für Österreichs Bevölkerung.
Zäsur
„Es war für mich eine Zäsur, in diesen vergangenen dreieinhalb Jahren zu erleben, wie tatsächlich Propaganda betrieben wird, wie tatsächlich Verschwörungstheorien entstehen – für mich persönlich zugespitzt in einem Interview, das ich mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Juni 2021 geführt habe“, erklärt der APA-Geschäftsführer. Überrascht habe ihn damals die Emotionalität Putins. Vom Inhaltlichen her waren seine Antworten ein Gesamt-Angriff auf den Westen mit Schuld- und Zurückweisungen an den Westen und der Klage über dessen Doppelmoral – „bis hin zur Formulierung, dass er eigentlich für mich ein freundlicher Gastgeber sein wollte. Da schwingt schon mit, wo er offenbar damals schon emotional gestanden ist.“
Die Moderation und Organisation des Gesprächs am Rande des Sankt Petersburger Wirtschaftsforums mit Pig als EANA-Präsident hatte Sergej Michailow, damals TASS-Generaldirektor, über. Derr stand dann ab April 2022 aufgrund seiner Putin-Nähe auf der Sanktionsliste. „Bei uns wäre es undenkbar, dass der APA-Chef eine Pressekonferenz oder ein Presse-Gespräch mit dem Bundeskanzler organisiert“, meint Pig zu so viel Politik-Nähe. Inzwischen gibt es einen neuen Generaldirektor, der noch topt: Andrej Kondraschow, ehemaliger Kommunikationschef in Putins letzten Wahlkampf – „sozusagen from Campaign-Manager to War-Communication-Manager.“ Auf die TASS, die bereits von der EANA suspendiert ist, wartet bei der Generalversammlung Mitte September einen Antrag auf Ausschluss aus der europäischen Organisation der Agenturen.
Hochproblematische Situation
„Medien haben mehr denn je eine zentrale Funktion in einer liberalen Demokratie. Deren Aufgabe im Sinne einer modernen Interpretation der Aufklärung besteht nach wie vor darin, die Machthabenden und die Regierenden kritisch zu analysieren. Die Unterdrückung der Medien ist immer der erste Schritt zum totalitären Staat. Wir Medienschaffenden sollten diesbezüglich hoch sensibilisiert sein“, warnt der APA-Chef. Nicht nur in Russland, wo die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor z. B. allen Medien verboten hat, Begriffe wie Krieg, Invasion oder Kriegstote zu verwenden, ist die Situation beklagenswert. „Wir sehen auch in Ungarn eine hochproblematische Situation, das gilt zudem auch für weitere europäische Länder.
Die meisten staatlich unabhängigen Presse-Agenturen, wie auch die APA eine ist, gibt es in Europa, aber nur 20 von 140 Presseagenturen sind es weltweit. „Das ist insgesamt ein sehr betrüblicher Befund“, erklärt Pig, zumal viele Medieninhalte dann doch direkt oder indirekt auf Agentur-Material basierten. „Unabhängige Information ist nicht selbstverständlich“, betont er, auch weil diese auch eine Ressourcenfrage geworden ist. Beispielsweise hat die staatliche chinesische Agentur Xinhua wesentlich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als alle unabhängigen europäischen Agenturen zusammen. „Es wird künftig eine ganz wesentliche und notwendige Kompetenz sein müssen, von uns allen und als Gesellschaft insgesamt, dass wir bewerten können, woher eine Nachricht stammt“, unterstreicht der APA-Chef. Es sei vergleichbar mit dem Einkauf im Supermarkt, wo man auch auf Gütesiegel angewiesen sei. „Qualitätsmedien sind kraft ihrer Marken bereits so etwas wie diese Gütesiegel der Nachrichtenproduktion. Und da muss man auch die Agenturwelt mitdenken.“
Sicherer KI-Hafen
Und aus der sticht die APA durchaus heraus. 2024 begeht sie (die Vorgänger-Organisationen miteingerechnet) das 175-Jahr-Jubiläum feiert. Sie ist damit die viertälteste Nachrichten-Agentur der Welt. Mit ein Grund für Pigs Buch. Aber vor allem einer, um nach vorn zu schauen. „Ich glaube, es wäre ein Fehler, wenn wir uns diesen neuen, teils schwierigen technologischen Entwicklungen verschließen. Mein Ansatz ist vielmehr, das Potenzial und die Kraft hinter KI zu sehen, aber auch die Gefahr.“ Künstliche Intelligenz brauche einen sicheren Rahmen und faktenbasierte Inputs. „Unser größter Rohstoff ist unsere redaktionelle Kompetenz. Die Inhalte, die wir erstellen, sind geprüft und faktenbasiert und die können die Grundlage sein, um AI zu trainieren.“ Womit man sich auch von ChatGPT und ähnlichem abhebt. Pig beschreibt auch seine Vision einer European Tech Alliance, die das Ganze eine Stufe höher hebt, auf der Kooperation unter den Agenturen beruht – und in Umsetzung ist. „Alle elf unabhängigen Nachrichten-Agenturen in Europa speisen derzeit in einem prototypischen Testlauf ihre Inhalte in ein geschütztes, sicheres System ein“, erzählt Pig.
So werden APA & Co zum KI-Trainingspartner. „Wenn ich in unsere Redaktion schaue, erlebe ich, dass wir mit neuen Technologien neue Dinge tun können und nicht einfach Menschen und ihre Arbeitsverhältnisse dadurch ersetzen“, so der Tiroler. „Ich halte es für spielentscheidend, dass auch künftig in menschlichen Händen liegen: die journalistische Selektion, also die Auswahl, was wichtig ist und was nicht, und die finale Recherche von journalistischen Themen und Inhalten.“ Vieles dazwischen werde man in der Inhalte-Produktion künftig vermutlich auch als Redakteurin oder Redakteur mit neuen Tools bedienen können müssen. „Dadurch am Ende mehr Zeit für die eigentliche Recherche zu haben, halte ich für ein enormes Asset, wenn uns die Umsetzung gelingt - und wir brauchen das dringend.“
Meilenstein
Die APA ist als Redaktion unumstritten, weil hier strikte Neutralität und Transparenz das gelebte Credo sind. Ein wesentlicher Fokus liegt nun auf den gesamten Bewegtbild-Bereich und auf der Live-Berichterstattung. Als IT- und Technologie-Dienstleister ist man zudem zu einem Player über Österreichs Grenzen hinaus geworden. Ein Weg, der, so Pig, vorangetrieben wird. „Ein Meilenstein“ in dem Zusammenhang ist für ihn, „dass wir beispielsweise das gesamte Bild- und Videomaterial der APA, aber auch jenes unserer Eigentümer und sonstiger Medien in Bezug auf Personen des öffentlichen Interesses mittlerweile vollautomatisiert verschlagworten können.“ Ein weiteres Beispiel ist die vollautomatisierte Verschlagwortung von Texten, die Medien liefern, was wichtig ist für deren Auffindbarkeit im Internet und, in weiterer Folge, für die Werbevermarktung. „Das entspricht den Anforderungen seitens der Medien, denen wir Lösungen anbieten wollen, die ihnen helfen, Kosten einzusparen bei Routinetätigkeiten und auch neue Erlösströme zu generieren. Da sehe ich den Nukleus für die zukünftige Strategie der APA“, sagt ihr Geschäftsführer.
Der aber bereits das „Next Big Thing“ vor Augen hat: Die APA soll sich in der kommenden Strategie-Periode 2024 bis 2026 hin „zur integrierten Produktions-Plattform entwickeln, für die wir die Technologie-Basis liefern und auf der die Medien zumindest einen Teil ihre Produktion abwickeln können. Wenn das umgesetzt ist, kann man wirklich sagen, wir, die APA, sind das Digital-Werkzeug dieses Medienmarkts und das vollumfänglich.“
Kommentare