Anselm Kiefer: Der Fabrikant des Tiefsinns

Bild aus der Serie „Der Rhein“ (1982) von Anselm Kiefer.
Eine Retrospektive großer Holzschnitte zeigt den Künstler Anselm Kiefer als Druckgrafiker.

"Die Albertina präsentiert einen weiteren der großen deutschen Künstler unserer Zeit", steht gleich zu Beginn an der Wand. Daneben ragt fast vier Meter hoch ein Bild namens "Der Rhein" (1993) auf, das dem sonst doch eher intimen Format des Holzschnitts Hohn spottet.

Es ist dieses Ehrfurchtsgehabe, das an Anselm Kiefer so unfassbar nervt. Wobei mit "Anselm Kiefer" nicht bloß der heute 71-jährige, in Donaueschingen nahe dem Rhein geborene Künstler gemeint ist, sondern auch ein System aus Galerien, Institutionen, Sammlern und Bewunderern, das den Mythos des prophetischen Großkünstlers zur Unendlichkeit perpetuiert und dafür sorgt, dass sich das gemeine Volk seinen Werken nur gesenkten Hauptes nähert (wer genug Geld hat, kann die Bilder freilich auch kaufen.)

Durchsichtige Motive

Die Ausstellung in der Albertina ist zumindest in erfreulicher Weise transparent.

Nicht nur, weil weniger Erde, Blei und sonstiger Schnickschnack an den Bildern klebt als in Kiefers Gemälden, und weil die lenkenden Kräfte hinter der Zusammenstellung recht einfach zu durchschauen sind: Rund ein Viertel der knapp 40 Werke stammt von Kiefers Galerie Thaddaeus Ropac (Salzburg/Paris), 20 weitere aus "Privatsammlungen", die vermutlich dort Kunden waren.

Transparent ist die Schau aber auch, weil die Technik des Holzschnitts eine Arbeitsweise Kiefers verdeutlicht, die mehr mit Andy Warhols "Factory" als mit dem genialischen Einzelgänger-Typen zu tun hat, der auf einem im Abgang zur Schau groß affichierten Foto verbissen eine Holzplatte traktiert.

Kiefers Holzschnitte sind eigentlich Collagen: Seine großformatigen Bilder – unter sechs Quadratmetern Fläche macht’s der Meister nur selten – setzen sich aus Abzügen einzelner Holzstöcke zusammen, die meist auf Leinwand, manchmal auch auf starke Papier-Untergründe aufgezogen werden.

Reine Holzmaserungen finden sich in Kiefers Bildbaukasten ebenso wie Motive der NS-Architektur, Porträts deutscher Geistesgrößen von Kleist bis Heidegger, Selbstporträts, Sonnenblumen und geometrische Motive wie der rätselhafte Würfel aus Albrecht Dürers Meisterstich "Melencolia I" von 1514: Das System Kiefer dockt überall an, wo es (primär deutschen) Tiefsinn abzusaugen gibt.

Dass die Motive immer wieder neu kombiniert und arrangiert werden, kennt man unter anderem von Auguste Rodin – die Kunsthistorikerin Rosalind Krauss hat an seinem Beispiel in den 1980er-Jahren schon die "Originalität der Avantgarde" als Mythos enttarnt.

Anti-Warhol

An der künstlerischen Praxis der Kombination und Variation ist per se nichts falsch. Anders als der selbst ernannte "business artist" Andy Warhol, der von der Methode ebenfalls üppig Gebrauch machte, beharrt das System Kiefer aber auf der Einmaligkeit seiner Baukasten-Bilder. Wo Warhol die Oberflächlichkeit seiner Werke feierte, insistiert Kiefer auf der Tiefgründigkeit der seinen. Doch das Versprechen wird schon lange nicht mehr eingelöst.

Auch wenn sich die genaue Funktionsweise des auf drei Produktionsstandorte aufgeteilten Atelierbetriebs Kiefer der Kenntnis des Rezensenten entzieht, so ist doch klar, dass hier der Tiefsinn vom Fließband läuft. Allein die Art und Weise, wie die bildnerischen Elemente mit den immergleichen Titel- und Schlagworten kombiniert werden ("Walhall", "Die Rheintöchter", "Teutoburger Wald", "Wege der Weltweisheit"), höhlt die intellektuelle Basis, die Kiefers Werk zweifellos besitzt, völlig aus.

Klar, die Bilder sind imposant – doch sie lassen intellektuelle Partizipation nur gegen den Preis der Bewunderung zu. Es hat daher etwas Befreiendes, Kiefers Werken den Respekt, um den sie so sehr betteln, auch einmal zu verweigern.

Anselm Kiefer: Der Fabrikant des Tiefsinns
---------------------------------------------------------------------- Anselm Kiefer Hortus Conclusus, 2007-2014 Privatsammlung; © Anselm Kiefer und Charles Duprat
Bis 19. Juni.

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