Netrebko tat es – aber vorerst halbherzig. „Ich bin gegen diesen Krieg“, schrieb sie zwar am Wochenende auf Instagram. „Ich will, dass dieser Krieg endet und dass die Menschen in Frieden leben.“ Der Nachsatz jedoch entwertete in den Augen vieler dieses Statement: Netrebko finde es „nicht richtig“, dass Künstler „gezwungen“ werden, sich politisch zu äußeren. Sie sei „keine politische Person“, schrieb die Sängerin, die ihren 50er im Kreml feierte und 2014 der Oper in Donetsk Geld spendete, nachdem die Region von russischen Separatisten erobert worden war. Auf Fotos hält sie eine Flagge der Rebellen.
Zu Wochenbeginn geriet Netrebko in jenen Strudel an Absagen und Anprangerungen, in dem Gergiev gelandet war: Sie sagte Auftritte in Hamburg und Mailand mit einigem Trotz („ich bin gesund, aber komme nicht“) ab, bevor sie ausgeladen werden konnte, und meinte, sich vorerst aus dem Konzertbetrieb zurückzuziehen.
Der Intendant der wichtigsten deutschen Oper, der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, ließ derweil auf Twitter wissen, dass aufgrund einer „fehlenden ausreichenden Distanzierung“ Netrebkos die Bayerische Staatsoper die bestehenden Engagements mit ihr „annullieren“ werde.
Das Timing dieses Statements wiederum war nicht ideal: Denn zeitgleich lieferte Netrebko auf Instagram jene Distanzierung zur Invasion, die von ihr gefordert wurde: „Ich fordere Russland auf, diesen Krieg jetzt zu beenden, um uns alle zu retten! Wir brauchen Frieden!“, hieß es in dem Posting – das Netrebko dann aber wieder löschte, und ebenso alle Postings der letzten Tage.
Diese politischen Pirouetten, die Netrebko drehte, können ihr je nach Grad des Wohlwollens unterschiedlich ausgelegt werden: Als öffentlicher Nachdenkprozess einer im besten Fall unpolitischen, wohl eher aber politisch naiven Künstlerin. Oder als Sich-Winden einer Adorantin Wladimir Putins. Oder als jemand, der seine Beziehung zur eigenen Heimat unter den Augen der Weltgeschichte, eines angesichts des Horrors in der Ukraine zornigen Publikums und einer schon im Normalbetrieb alles andere als einfachen Branche neu ordnen muss.
Gergiev scheint indes seine Position gefestigt zu haben – und zwar auf russischer Seite: Die Rotterdamer Philharmoniker, mit denen Gergiev lange verbunden ist, haben bekannt gegeben, mit dem bisher schweigenden Dirigenten gesprochen zu haben. Und dass am Ende dieser Konversation unüberwindbare Differenzen bestehen blieben. Man habe daher die Zusammenarbeit beendet – wie zuvor schon die Münchner Philharmoniker, dessen Chefdirigent Gergiev nicht mehr ist, oder Mailand, das ihn von der Scala auslud.
Oder auch das Festival Grafenegg: „Mit großem Bedauern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Valery Gergiev, ein langjähriger und künstlerisch hochgeschätzter Partner des Grafenegg Festival, derzeit nicht bereit ist, sich vom Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu distanzieren“, schreiben Rudolf Buchbinder und Grafenegg-Geschäftsführer Philipp Stein in einem gemeinsamen Statement.
Gergiev scheint damit an einem Punkt angelangt zu sein, an dem seine Karriere in Europa vorerst beendet ist. Netrebko scheint das noch verhindern zu wollen.
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