Michieletto verlegt die Geschichte der Bauernhoftiere, die gegen ihren Halter Mr. Jones, einen rabiaten Alkoholiker, revoltieren, in einen Schlachthof mit hellen, marmorierten Wänden (Bühne: Paolo Fantin). Geschundene Kreaturen darben dort in Käfigen, bis Old Major, der betagte Eber, von seinem Traum, einer Rebellion der Tiere, erzählt und daraufhin sein Artgenosse Napoleon das Kommando übernimmt.
Das Bild zu Beginn rührt, erinnert an die Qualen, denen sogenannte Nutztiere heute weltweit ausgesetzt sind. Dieses Szenario ist das einzige, das von Orwells Roman in dieser Produktion abweicht. Michieletto zeigt diese Parabel auf Stalins Regime als kurzweiliges Musiktheater, von dem ein junges Publikum, auch wenn Orwells Roman aktuell nicht Teil des Schulunterrichts ist, nur profitieren kann.
Literatur mit Musik
Denn diese Inszenierung ist Literatur mit Musik. Das Libretto hat Raskatov mit dem Autor Ian Burton zu großen Teilen aus Versatzstücken des Romans gefertigt. Wenn die Schweine, angeführt von Napoleon, die Macht übernehmen leuchtet in großen, rosa Neon-Lettern der Wahlspruch der Rebellen auf: „all animals are equal“, am Ende dann mit der Ergänzung, „but some animals are more equal than others“. Eindrücklich führt Michieletto vor, wie sich die Herrschaft der Schweine in ein Terror-Regime wandelt. Sie legen die Masken ab, biegen sich ihre Gebote zurecht, bis sie diese ganz auslöschen. Jedes Detail ist genau ausgearbeitet. Auch die Kostüme (Klaus Bruns). Die Sängerinnen und Sänger agieren in abgetragenen Alltagskleidern und tragen Tiermasken. Die bilden fast naturgetreu mit Stoff die Köpfe der Pferde, Schweine, Ziegen und des Esels nach. Wie in einem akkurat konstruiertem Uhrwerk sind das Geschehen auf der Bühne und im Graben exakt miteinander verzahnt.
Raskatov, am 9. März 1953, dem Tag der Beisetzung von Josef Stalin, in Moskau geboren, hat eine leicht bekömmliche, lautmalerische Musik geschaffen. Dirigent Alexander Soddy agiert umsichtig am Pult des Staatsopernorchesters und koordiniert die groß besetzten Chöre famos. Die Zitate von Schostakowitsch, der unter Stalin gelitten hat, lässt Soddy wie eine Hommage an diesen Komponisten hören. Ein Brise Prokofjew, ein zarter Hauch von Webern in den kammermusikalischen Passagen und leichte Anklänge an Philipp Glass fügen sich in diese facettenreiche Partitur. Am schönsten klingt Raskatovs Musik, wenn es um Emotionen geht. Sphärenklänge signalisieren Hoffnung, den Traum von einem besseren Leben. Höchste Ansprüche stellt die Partitur ans Ensemble auf der Bühne, das diese mit Hingabe bewältigt.
Miss-Piggy-Look-Alike
Brillant agiert und singt Holly Flack als eitle Stute Molly, die ständig mit ihrer Mähne spielt. Phänomenal wie sie mit ihrem Sopran jede Höhe erreicht und ihre Koloraturen wie Wiehern intoniert. Isabel Signoret betört als Ziege Muriel. Wolfgang Bankl verkörpert das Führer-Schwein mit einem gewissen Unterton. Gennady Bezzubenkov ist ein nobler Old Major. Michael Gniffke agiert und singt eindrücklich die fordernde Tenor-Partie von Snowball, der als Regimekritiker mit der Todesspritze hingerichtet wird. Die enorme Wandlungsfähigkeit von Karl Laquit ist beachtlich, er ahmt mit seiner Tenorstimme virtuos die Laute des Esels Benjamin nach und tritt im roten Samtkleid als Miss-Piggy-Lookalike auf.
Elena Vassilieva punktet in einer Art Falsett als Rabe Blacky. Margarete Plummer als Clover und Stefan Astakhov als Boxer sind ein ans Herz gehendes Pferdepaar. Andrei Popov lässt mit seiner eindringlichen Tenorstimme die dämonischen Seiten von Squealer hören. Famos, Countertenor Artem Krutko, Clemens Unterreiner, Daniel Jenz und Aurora Marthens. Diese Koproduktion mit Amsterdam, Palermo und Helsinki demonstriert, wie Oper heute funktionieren kann. Jubel für alle Mitwirkenden und viele Bravos für den Komponisten.
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