Andreas Altmann: "Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf"

Andreas Altmann: "Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf"
Der preisgekrönte Reisereporter Andreas Altmann wirft in seinem neuen Buch einen weltwachen Blick auf ein hitziges Land. Am Freitag (19.10.) liest er in Wien.

Andreas Altmann gehört zu den besten Reisereportern unter der Sonne. Nun hat der deutsche Autor, der sich seit Jahren von Paris aus auf Suche nach grandiosen, aber auch gräulichen Geschichten macht, ein neues  Buch vorgelegt: „In MexikoReise durch ein hitziges Land“. Dafür zog er durch  durch ein Land voller Widersprüche, voller Freude und Schrecken. Wie gewohnt, lässt Altmann dabei nichts aus, schaut genau hin, will wissen, hinterfragen und entdecken.

KURIER: Reisen bildet, sagt man. Was hat Mexiko mit Ihnen gemacht?
Andreas Altmann: Ich kam in Paris ungefähr so an, wie ich es verlassen hatte. Und das Geschwätz „jemand hat sich neu erfunden“ glaube ich nicht. Veränderungen nach einer langen Reise sind so schnell nicht zu erkennen. Sie unterliegen, wie Krankheiten, einer „Inkubationszeit“, sie kommen oft – wenn überhaupt – erst nach Monaten zum Vorschein. Gewiss bin ich reicher heute, sagen wir, „geistreicher“, weil mir Frauen und Männer ihre Geschichten – grandios oder gräulich – erzählten und ich hinterher ein bisschen mehr wusste vom Leben und Treiben auf der Welt.

Was macht die mexikanische Seele „einzigartig“?
Ach, ich glaube nicht, dass die mexikanische Seele „einzigartig“ ist. Von einer einzigartigen österreichischen Seele weiß ich auch nichts. Mexikaner sind ungefähr wie der Rest der Welt. In Mexiko gibt es hilfsbereite Damen und Herren, durchwachsene Schweinehunde, Hochintelligente und haltlos Blöde, wunderschöne Wesen und die weniger Ansehnlichen. Alles da. Was sie – vielleicht – von uns Westler unterscheidet: Sie haben mehr Humor, kommen „leichtsinniger“, beschwingter durchs Leben.

Andreas Altmann: "Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf"

Andreas Altmann

Weshalb Mexiko? Was treibt Sie in ein Land, das eine der höchsten Mordraten der Welt aufweist?
Zuerst die immer gleiche Antwort: Ich reise, um Geld zu verdienen. Ich warte noch immer auf ein Millionenerbe, das aber nicht eintreffen will, haha. Also muss ich raus in die Welt. Und die Geschichten, die ich dort beschenkt bekam, schenke ich an die Leser weiter. Okay, Stichwort Gefahr. Ach, wer achtsam um sich schaut und nicht als tollkühner Tölpel reist, der wird überleben. „Streetwise“ sollte er schon sein, also einer, der „weise“ sich bewegt, der sich auf der „Straße“ ein wenig auskennt, Zeichen dechiffrieren kann, ungute Zustände riecht.

"Ich reise, um Geld zu verdienen", sagen Sie immer. Sie könnten ja auch andere Bücher schreiben. Ist es also tatsächlich nur das Geld?
Aber natürlich ist es nicht „nur“ das Geld. Ich wehre mich nur gegen hehre Antworten wie „ich schreibe, um der Welt den Spiegel vorzuhalten“ oder, noch grausiger, „ich schreibe, um die Welt bewohnbarer zu machen“, aua, aua. Es gibt viele Gründe, hier noch ein ganz schlichter: Ich kann nicht anderes! Nimm mir das Talent zum Schreiben und ich werde Sandler im 9. Bezirk (den liebe ich besonders) in Wien. Zum Teufel, muss ich es tatsächlich erwähnen: Gibt es etwas Herrlicheres auf Erden als Reisen und Schreiben?

Wie weit würden Sie für eine Geschichte gehen? Gibt es so etwas wie ein kontrollierbares Risiko?
Ich gehe immer so weit, wie die Gefahr kalkulierbar ist. Ich überlege mir genau, ob ich „hineingehe“. Sehe ich keine Chance, drücke ich mich. Ich habe kein Verlangen, als zehnzeiliger Nachruf unter „Vermischtes“ in deutschen Blättern aufzutauchen. Auch Folter liegt mir nicht. Natürlich ist kein Risiko haarscharf berechenbar, Aber viele Jahre Erfahrung helfen. Und noch eins: Glück braucht der Mensch, hat er keins, fällt er hinterm nächsten Straßeneck tot um.

Was hat Sie an Mexiko überrascht?
Mit welcher Leichtigkeit die einen den anderen den Kopf abschneiden. Und mit welcher Hilfsbereitschaft die (vielen) anderen einen Fremden versorgen.

Mezcal oder Tequilla?
Ist mir egal, ich habe keine Ahnung, ich war mehrmals leicht beschwipst. Mit Tequila. Und einmal himmelblau mit Pox, einem Maisschnaps der Indigenen. Ein Feuerwasser, das dir hilft, jeden Idioten auf Erden auszuhalten.

Reisen bedeutet das Verlassen von Routinen. Mögen Sie keine Routine?
Aber ja, gewisse Routinen können sogar süchtig machen: Wenn ich morgens in Paris aufstehe und die Vöglein zwitschern höre, wenn ich meditiere, mäuschenstill, wenn ich in einem Café sitze und lese, wenn ich ins Kino gehe, wenn ich Freunde treffe, wenn ich mit einer Freundin ausgehe, die sprudelt und mir etwas von der Welt erzählt. Das sind Routinen, die ich nie und nimmer missen will. Die sich wiederholen und mich doch jedesmal anrühren.

Was hält Ihre Neugierde wach?
Ich glaube nicht, dass man Neugierde trainieren muss, sie „wachhalten“. Ich vermute, sie ist ein Gen, das in dir steckt und dich antreibt. Sie ist da oder nicht da. Solange du schnaufst. Die einen bekommen es mit, die anderen dösen gern am Leben vorbei. Gewiss, Neugier kann krankhaft sein. Aber unheilbar ist sie auch. Doch sie scheint mir der einzige Weg zu sein, um zu lernen. Nicht neugierig zu sein ist ebenfalls eine Krankheit. Noch unheilbarer. Und zweifellos gefährlicher.

Was haben Sie immer in der Reisetasche?
Erschreckend banale Dinge: Ein bisschen Wäsche, die Toiletttasche, meinen Laptop, Zeitungen, ein Buch, ein winziges Taschenmesser (sonst wird es am Flughafen konfiziert), einen handtellergroßen Radio und die absolute Maxime: Leicht reisen! Und ich liebe es, am Ende einer Reise festzustellen, dass ich weniger besitze als zu Beginn, da ich manches auf der Reise verschenkte. Ich kaufe keine Souvenirs, nie ein Hirschgeweih, nie einen Poncho, nie eine Muschel als Aschenbecher. Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf und auf der Festplatte meines Laptops.

Viele  teilen ihre Urlaubsfotos im Internet, um „Likes“ zu bekommen.  Sie  nicht, haben  nicht einmal einen  Instagram-Account, obwohl sie der perfekte Influencer wären ...
Das Handy-Wichtigtuer-Syndrom habe ich verpennt. Auch das endlose Posten meiner ungeheuren Wichtigkeit (lacht). Das so anstrengende Gefühl, unentbehrlich zu sein, kam nie bei mir nie an. Außerdem will ich beim Reisen  „schauen“, die Frauen und Männer sehen, die an mit vorbeigehen,  will  die Welt um mich wahrnehmen.  Ich will „da“ sein, weil ich  es nicht ertragen würde, rastlos unterbrochen zu werden. Und weil ich meine Freunde nicht pausenlos mit meinen Pipi-Nachrichten belästigen will.

Andreas Altmann: "Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf"

Andreas Altmann.

Sie kommen immer wieder mit Ungerechtigkeit und Elend in Berührung. Verzweifelt man da als Humanist, der Sie sind, nicht irgendwann?
Ich vermute, dass jeder, der noch imstande ist mitzufühlen, in seelische Turbulenzen gerät, wenn er sieht, wie andere, viele andere, in Sack und Asche leben. Aber Achtung! Man sollte sich als Schreiber nicht als moralische Anstalt herauszuputzen! Uff, unerträglich dieses Betroffenheitsgetue, so verlogen. Als Beispiel eine kleine Episode aus Mexiko: Vor mir im Bus saß ein Paar, und er – vielleicht 40, dem Akzent nach wohl Spanier – erzählte seiner Begleiterin im Brustton des hochmoralischen Bannerträgers von den sozialen Missständen hier im Land. Man hörte, was er sagte, und man hörte, wie ergriffen er von sich selbst war: Schaut nur, wie edel ich rede.  Ach, es war eine herrliche Szene – die nächste, so simpel und so wahrhaftig: Bei einem Stopp kam eine junge Indigene herein und bot ihr Kunsthandwerk an, Armbänder und kleine Accessoires. Und unser Mann, nennen wir ihn Pepillo, griff zu. Und die Maske fiel, in Sekunden wandelte sich der hehre Held für mehr Gerechtigkeit auf Erden zum beinharten Feilscher. Es ging um umgerechnet eineinhalb Euro, die er weniger zahlen wollte. Und weniger zahlte. Was mich am meisten erstaunte: Er sah die Lächerlichkeit der Situation nicht, sah nicht das riesige Loch zwischen dem, was er hoheitsvoll verkündet hatte, und dem, was er schäbig tat.

In ferne Länder zu reisen ist einfacher und leistbarer geworden. Sie reisen seit 30 Jahren hauptberuflich. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Grauenhaft, der Massentourismus ist eine der Todsünden, die beim Vernichten der Erde mithilft. Ungeheure Landschaften verschwinden unter Betonwüsten. Die Wachstumsnarren träumen schon von 2040, wo sich – spätestens – der Flugverkehr verdoppelt hat.  Ich bin leider mit meinen Büchern mitschuldig. Auch wenn ich von einer anderen Art zu reisen schreibe.

Sie geben sich auf Reisen oftmals als eine andere Person aus, schlüpfen in unterschiedliche Rollen. Gibt es eine Lieblingsrolle?
Am liebsten bin ich amerikanischer Filmschauspieler. Aus verschiedenen Gründen: weil ich schon vor Jahren von Fremden mehrmals darauf angesprochen wurde, sprich, sie mich angeblich in einer amerikanischen Serie haben auftreten sehen. Das gefiel mir, zudem habe ich an New York University studiert, ich kann den amerikanischen Akzent, zudem liebe ich Kino, kann also stundenlang über das Thema schwadronieren, käme nie in Verlegenheit, wenn einer daherkäme und an „meinem“ Beruf zweifelte.

Welche Rolle würden Sie gerne einmal auf einer Reise spielen?
Das wäre Till Eulenspiegel, der sagenhafte „Trickster“ aus dem vierzehnten Jahrhundert. Ein Listiger, dem viele Mittel (immer gewaltlose) recht waren um die Realität hinter all den Masken zu entdecken. Zu seinen Lieblingsopfern gehörten die Pfaffen, denn Religion eignete sich schon damals vortrefflich, um als Scheinheiliger unheilig zu leben. Aber Tyll war nie Rächer und Töter, nur immer Schelm, der allen Weihrauchtiraden misstraute. Ein Menschenfreund, der einiges riskierte, um die Freunde von den Feinden zu unterscheiden.

Sie haben Schauspiel am Mozarteum in Salzburg studiert, waren im Bayerischen Staatsschauspiel in München und am Schauspielhaus in Wien tätig und haben u.a. mit Michael Schottenberg gespielt. Der hat in einem Interview einmal gesagt: "Es war besser, dass er mit der Schauspielerei aufgehört hat". Sehen Sie das ähnlich?
Ach, der Schotti, den ich liebe, denn er hat diesen Wiener Schmäh wie keiner weit und breit. Aber ja, er hat es noch sehr diplomatisch in dem Interview ausgedrückt, er meinte, ich wäre „nicht sehr gut“ gewesen. Das ist gelogen, denn ich war das Schlimmste, was einem kreativen Menschen passieren kann, ich war mittelmäßig. Ich war nicht einmal beeindruckend schlecht, war nur so mittendrin, unerheblich.

Michael Schottenberg, schreibt nun auch Reisereportagen. Haben Sie schon ein Buch von ihm gelesen?
Noch nicht, aber ich muss, denn er droht, mit mir Schluss zu machen, wenn ich es nicht tue. Ich zögere, mit Recht, denn er hat mich schon als Schauspieler an die Wand gespielt, ich will nicht schon wieder verlieren müssen.

Sie reisen immer alleine. Mit wem würdest du gerne einmal verreisen?
Niemanden, weil du auf Reisen einfach wacher ist, unabgelenkter, sensibler, geforderter, auch „verfügbarer“, will sagen: Ich kann in jeder Sekunde das tun, was ich für richtig halte, kann – ohne Diskussion – auf eine Situation reagieren. Ich bin ja als Reporter unterwegs, ich muss schuften, muss Stories finden, darf nicht trödeln. Das hindert mich nicht, auf Reisen jemanden kennenzulernen, der mir gefällt und mit dem ich ein paar Tage zusammen bin. Allein sein ist schön, bisweilen zu zweit sein ist schön. Die Abwechslung ist entscheidend. Immer allein ist scheußlich, immer zu zweit sein noch scheußlicher (lacht).

Sie sind kein Freund von politischer Korrektheit. Das stellen Sie in ihren Büchern immer wieder klar. Sollte man immer sagen, was man sich denkt? Und gibt es Bereiche, Situationen, in denen mal besser schweigen sollte?
Natürlich muss nicht alles in die Welt hinaus, gewiss nicht Hass und Gewalt. Soweit ich sehe, haben wir schon genug davon. Aber auf kluge Weise soll ein Autor den Finger in die Wunde legen. Wer den Absatz im Buch zum Thema Übergewicht liest, wird - fairerweise - feststellen, dass mich weder Hass noch Verachtung treiben, sondern ich neugierig und verwundert herauszufinden versuche, warum Leute, Frauen wie Männer, ihr kostbarstes Gut, ihren Körper, so nachlässig, ja, so lieblos behandeln. Welche (innere) Verletzung steckt dahinter, warum tun sie das?  Dabei wird auch klar, dass mich der allwaltende Schönheitswahn bis in die Fingerspitzen nervt. Es geht um Achtung vor dir selbst. Und Achtung vor dem, was so unübersehbar zu dir gehört, dein Körper.

Fürchten Sie keine Rache von dicken Menschen? Sie könnten etwa zum Kaufboykott Ihrer Bücher aufrufen?
Haha, wir haben so viele Frustrierte und Zukurzgekommene unter uns, es hagelt ja stündlich Shitstorms, nur zu!  Aber klar, wir werden ja von politischer Korrektheit erdrosselt, auf keinen Fall etwas sagen, was irgendjemanden ärgern könnte, unbedingt immer und überall kriechen und alles herrlich und schön und hinreißend finden. Geradezu widerlich finde ich das. Wie man im Laufe der Lektüre erfahren wird, lege ich mich ja mit so manchen an. Seien es nun die Pfaffen und ihre Umtriebe, sei es nun die unfassbare Gleichgültigkeit, mit der so viele am Leid anderer vorübergehen.

Zum Abschluss noch eine politische Frage: In Deutschland wird mit der AfD eine Partei immer stärker, die für eine durchgängige Mauer zwischen Österreich und Bayern eintritt. So eine Forderung lässt einen ratlos zurück. Wie geht man als weltoffener Mensch mit solchen Dummheiten um?
Der Einzelne könnte dem Rat meines Zen-Meisters folgen, der mir im Umgang mit anderen empfahl, ob nun Zweibeiner oder Einbeiner, ob nun gelb oder bleich, ob nun herrlich gewachsen oder eher krumm: „Just stay fucking normal“, sprich, mach dich nicht wichtig, übe dich in Respekt, plustere dich nicht auf, zäune dein Ego ein. Jeder könnte versuchen – im Gegensatz zur Vollgermanin Ebner-Steiner –, den Satz des amerikanischen Autors Henry James auswendig zu lernen: „Drei Dinge sind im Leben wichtig, erstens, freundlich sein, zweitens, freundlich zu sein, drittens, freundlich zu sein.

Lesung: Am Freitag, 19. Oktober, liest Andreas Altmann in der Kulisse (Rosensteingasse 39, 1170 Wien) aus seinem neuen Buch
„In MexikoReise durch ein hitziges Land“. Beginn: 20 Uhr. 

Andreas Altmann: "Alle meine Souvenirs befinden sich im Kopf"

Andreas Altmann: „In Mexiko – Reise durch ein hitziges Land“.
Piper Verlag. 288 Seiten. 20,60  Euro.

 

Kommentare