KURIER: Was hat Sie bewogen, das Puppentheater zu übernehmen?
André Heller: Als mein siebenjähriger Enkel erfuhr, dass der Urania-Kasperl vom Untergang bedroht ist, weil der Direktor, Manfred Müller, aufhören will, hat er ohne zu zögern gesagt: „Das wird dann halt der Nono machen!“ Mein Sohn Ferdinand hat mir das erzählt. Und dann dachte ich mir: Der Kiwi hat vollkommen recht, das ist ein Abenteuer auf das ich mich gerne einlassen will. Ich rief Herrn Müller an. Wir haben uns sofort verstanden. Und er hat sich entschieden, das Unternehmen mir anzuvertrauen und zu verkaufen.
War der Aufschrei der Kulturnation nicht absurd, als Müller verkündete, sich zurückziehen zu wollen?
Ja und Nein. Das Kasperltheater ist wohl etwas, womit fast jeder Mensch in Wien, aber auch viele in den Bundesländern, eine gute Kindheitserinnerung verknüpfen. Herr Müller war übrigens ein Titan der Selbstausbeutung: Er hat jahrzehntelang den Kasperl gespielt, die amüsanten Stücke geschrieben und inszeniert, er hat die Musik arrangiert, er hat all die großartigen Puppen hergestellt und ihre Kostüme genäht, er hat die Bühnenbilder entworfen und gebaut, er war für die Reklame verantwortlich. Sein Glückserleben war die Kasperlwelt. Kaum hat er damit aufgehört, ist er, zu unserer aller Trauer, gestorben.
Das war heuer im April – unmittelbar vor den geplanten Abschiedsvorstellungen. Gegründet worden war dieses Kasperltheater 1949. Kannten Sie es aus Ihrer Kindheit? Sie wurden ja 1947 geboren ...
Nein. Aber ich hatte als Bua mein eigenes kleines Kasperltheater. In der Pfarre Hietzing spielte ich nach der 10-Uhr-Kindermesse im Pfarrheim alle Puppen selbst – und irgendwie entlockte ich noch dem Harmonium nebenbei ein paar schräge Töne. Alles aus dem Stegreif. Ich erinnere mich noch an die lispelnde Prinzessin Goldhaar mit ihrem Hermelin-Häschen die stets vom Rülpser-Hansi sekkiert wurde. Krawuzikapuzi! Es muss recht surreal und anarchistisch gewesen sein. Aber ich habe es zwei Jahre lang, 1954 und 1955, freudig getan.
Was vermochte Ihre Fantasie besonders zu beflügeln?
Ich liebte das Reagieren auf Zwischenrufe. Wenn man als Puppenspieler nicht schlagfertig ist, erleidet man ein Debakel. Die Kinder mischen sich ja ununterbrochen ein und schreien, schimpfen und trampeln. Dem muss man Paroli bieten – auf originelle und möglichst wienerische, schmähgeladene Weise. Für manche berühmte Schauspieler wäre das wohl eine Albtraum Aufgabe.
Kasperl oder Pezi: Welcher Puppe geben Sie den Vozug?
Der Kasperl ist natürlich eine unumstrittene Instanz, aber die populärste und umjubeltste Figur ist eindeutig der Pezi: frech, trickreich und äußert komödiantisch. Und weil er der Kleinste ist, können sich die Kinder auch am besten mit ihm identifizieren. Beseelt wird er bei uns von Alexandra Filla, sie ist eine Art Elfriede Ott der Puppenspielerei. Ich habe sie auch gebeten die Prinzipalin zu sein. Sie hält das exzellente Ensemble zusammen. Übrigens, bei uns gibt es weder ein armes Krokodil, das dauernd Prügel erhält, noch eine böse Hexe, sondern vor allem Aberwitz, Staunen und Lachen.
Wie soll es mit dem Urania Puppentheater weitergehen?
Ich will selbstverständlich keine Revolution ausrufen, sondern das an Tradition und Qualität Vorhandene liebevoll bewahren. Herr Müller hat uns 40 Stücke hinterlassen, in perfekter, fantasievollster Ausstattung. Es ist eine fast versunkene Welt, die jetzt wieder ganz lebendig fröhliche Urständ feiert. Wir haben dem Team, dank der Hilfe einiger Sponsoren, längst überfällige, innovative technische Möglichkeiten beim Licht und beim Ton verschafft, ein elegantes Foyer gestaltet, es gibt schöne Probenräume und ein würdiges Büro.
Nun wollen alle Karten ergattern...
Es hat natürlich alle Beteiligten sehr gefreut, dass Kasperl und Pezi im KURIER und anderswo auf den Titelseiten waren. Die Aufführungen sind, Gottlob, bummvoll. Und die beliebten Nikolovorstellungen sind auch längst ausverkauft. Aber ich möchte nicht, dass die Verantwortlichen anderer Puppenbühnen denken: „Jetzt kommt der Heller – und der kriegt die ganze Reklam‘!“ Lassen Sie mich also bitte sagen, es gibt in Wien einige gute Kasperl-Ensembles – zum Beispiel jenes von Stefan Gaugusch.
Werden Sie selbst ein Stück schreiben? Oder sich einbringen?
Einbringen ja – beratend, ermutigend und lobend. Aber ich will nicht die Verhellerung des Kasperltheaters. Hoffentlich findet sich in meiner Familie jemand, der die Tradition des Beschützens und Förderns später fortsetzt. Vielleicht mein Enkel Kiwi. Er kommt schon jetzt in die Kasperlwerkstatt. Dort hängen allein an den Wänden rund 200 großartige Figuren. Es gibt einen wundersamen, einzigartigen, kulturhistorisch kostbaren Fundus! Er nimmt dann an jede Hand eine Puppe und improvisiert mit zwei unterschiedlichen Stimmen groteske Szenen. Das ist berührend zu beobachten. Und man darf Eines nicht unterschätzen: Das Kasperlerlebnis ist die erste große Anstiftung zu einer Liebesgeschichte mit dem Theater. Das ist nicht nix.
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