Amerikaner gewinnen in Venedig: Gut gebrüllt, Joker!
Damit hat dann doch niemand wirklich gerechnet: Der Goldene Löwe des Filmfestivals von Venedig geht an den amerikanischen Psychothriller „Joker“, dem akklamierten Batman-Spinoff von Todd Phillips. Das düstere Porträt eines psychisch angeschlagenen Mannes, der schließlich als Gegenspieler von Batman ins Superhelden-Genre eingeht, hatte überall großes Lob erhalten. Vor allem Joaquin Phoenix riss mit seiner Darstellung eines Psychopathen in Clownsmaske die Leute von Sessel. Man hätte ihm den Preis für bestes Schauspiel gegönnt.
Doch die Preis-Jury unter der argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel ging gleich einen Schritt weiter: Sie belohnte den „Hangover“-Regisseur Todd Phillips mit dem höchsten Preis des Festivals. Es ist eine Seltenheit für ein großes Hollywoodstudio – in dem Fall Warner –, einen derartigen Preis zu erhalten. Damit bekommt der Blockbuster eine künstlerische Auszeichnung, die üblicherweise dem Arthousekino zufällt, weil er Massenunterhaltung mit hohem, ästhetischen Niveau versöhnt.
Zudem hat sich „Joker“ für das Oscar-Rennen in eine Top-Position gebracht.
Auch die Frage, wie die Jury mit dem umstrittenen Regisseur Roman Polanski, schuldig des sexuellen Missbrauchs einer 13-jährigen, umgehen würde, hat sich geklärt: Polanskis zügig inszeniertes Thriller-Drama „J’accuse“, das atmosphärisch dicht die antisemitische Verschwörung gegen Alfred Dreyfus nachzeichnet, erhielt den Großen Preis der Jury.
Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner bedankte sich in Abwesenheit ihres Mannes knapp für die Auszeichnung.
Kontroversiell
Diese Jury-Entscheidung wird aller Voraussieht nach einige Kontroversen nach sich ziehen, zumal das Festival dafür kritisiert worden war, nur zwei Regisseurinnen im Wettbewerb präsentiert zu haben.
Eine davon, die Australierin Shannon Murphy, konnte zumindest indirekt eine Auszeichnung für sich verbuchen: Toby Wallace, sehr überzeugend als Drogendealer in Murphys Spielfilmdebüt „Babyteeth“, bekam den Marcello-Mastroianni-Preis für besten Newcomer.
Dem gesundheitlich angeschlagenen Schweden Roy Andersson wurde in Abwesenheit der Preis für beste Regie zugesprochen. Andersson hatte bereits 2014 den Goldenen Löwen erhalten und bekam nun für seine stilistisch treffsicheren, traurig-komischen Alltagsimpressionen „About Endlessness“ den Silbernen Löwen.
Nachdem Joaquin Phoenix nun doch keinen Preis für bestes Schauspiel erhielt, wurde der Platz für Luca Marinelli frei. Der Italiener hatte mit großer Überzeugungskraft Jack Londons Aufsteiger „Martin Eden“ verkörpert und sich mit Verve aus der Gosse in die höheren literarischen Kreise hineingeschrieben. Der 34-jährige erhielt dafür den Coppa Volpi für den besten Schauspieler.
Der Coppa Volpi für beste Schauspielerin ging an eine Veteranin des französischen Kinos, die 64-jährige Ariane Ascaride, Langzeit-Partnerin und Darstellerin von Regisseur Robert Guédiguian. Zwar zählt das Generationendrama „Gloria Mundi“ nicht unbedingt zu Guédiguians besten Filmen. Doch Ascaride spielt souverän eine gestresste Putzfrau in Marseille, die mit allen Mitteln versucht, ihre auseinanderdriftende Familie beisammen zu halten.
Strohhut
Einen hinreißenden Auftritt bei der Preisverleihung in Venedig lieferte der 71-jährige Hongkong-Regisseur Yonfan: Er gewann den Preis für bestes Drehbuch für seinen innigen Animationsfilm „No. 7 Cherry Lane“, der nostalgisch von einem Hongkong aus dem Jahr 1967 erzählt. Yonfan konnte sein Glück kaum fassen und strahlte unter seinem Strohhut: „Man hat mir oft vorgeworfen, meine Filme seien langweilig. Und jetzt bekomme ich einen Preis für das beste Drehbuch.“
Für einen heiteren Abschluss des diesjährigen Wettbewerbs hatte die satirische Doku „Mafia Is Not What It Used To Be“ des Italieners Franco Maresco gesorgt. Maresco wirft einen giftigen Blick auf das gegenwärtige Sizilien und dessen Verhältnis zur Cosa Nostra. Ausgerechnet Ciccio Mira, ein (ehemliger) Mafia-Angehöriger, organisiert ein Konzert zu Ehren der ermordeten Anti-Mafia-Richter Falcone und Borsellino. Der engagierte Sänger singt so inbrünstig und falsch, dass das Kinopublikum den Misston nur mit Lachstürmen ertragen konnte. Maresco erhielt dafür den Spezialpreis der Jury.
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