#allesaufdentisch: Schauspieler rufen wieder "Bitteichweißwas" in die Pandemie
Zumindest sind sie nicht mehr sarkastisch: Nach dem kommunikativen Totalschaden #allesdichtmachen, bei dem zahlreiche Künstler in sarkastischen Videos die Corona-Maßnahmen kritisiert hatten, hat sich ein Teil des selben Personals und einige Neuzugänge zu einem neuen Videoprojekt versammelt: #allesaufdentisch will in Interviews von Nina Proll, Roland Düringer, Eva Herzig und einigen Tatort-Kommissaren jenen Stimmen Platz geben, die in der Coronamaßnahmen-Diskussion angeblich zu kurz kämen.
Das ist ziemlich genauso, wie man es sich vorstellt.
Künstler, die an Meinungspunkten angekommen sind, an denen sich die Coronamaßnahmen ihnen als ungerechtfertigt darstellen, interviewen handverlesene Experten, die am selben Punkt stehen. Es ist ein gegenseitiges Schulterklopfen, da etwas durchschaut zu haben, während andere verblendet sind, in ein paar Dutzend Videos.
Experten, die kein Interview geben wollten, werden als schwarze Fehlstellen vorgeführt.
Soll sein, könnte man sich denken: Dieses Gefühl des Bitteichweißwas transportieren gar nicht wenige in jeder politischen Diskussion. Es ist wie ein Verkehrsunfall, bei dem ein Teilnehmer reversiert, in den ersten Gang schaltet und halt nochmal in die Kollision hineinfährt.
Glaubensfragen
Es ist aber auch ein unangenehmes Bild - nämlich für die, die nicht an diesen außenliegenden Punkten stehen. Nicht, weil man hier durch besonders hellsichtige Menschen in irgendeiner vorgefassten Wahrheit erschüttert wird.
Die Wissenschaft hinter den Pandemiemaßnahmen ist nämlich, auch wenn die Künstler das gerne so darstellen, keine Glaubenssache; und dass es in der Virologie und auch in der Pandemiebekämpfung unter seriösen Wissenschaftern allerlei Dissens gibt, hört nur der nicht, der absichtlich weghört. Wie, eben hier, zahlreiche Künstler.
Was aber eine Glaubensfrage ist, ist das gegenseitige Vertrauen in einer Gesellschaft, auf das man sich mal geeinigt hat. Etwa das Vertrauen, dass Expertise in Virologie (oder Politik) nicht etwas ist, das man als Nicht-Experte einfach mal mit Internetrecherche aushebeln kann. Das ist ein bisschen wie das Kleinkind, das mit dem Milchbecher ein Feuer löschen will.
Kein Weg zurück
#allesaufdentisch zeigt nun, dass dieser Glaube aneinander in den Labyrinthen des Internets rascher aufgekündigt wird, als einer demokratischen Gemeinschaft lieb sein kann. Und dass es, ist dieser prinzipielle Konsens mal aufgekündigt, kaum einen Weg zurück gibt: Wer alternative Fakten bevorzugt, wird von Fakten nicht mehr berührt.
Das wird hier mit prominentem Anschub vorgeführt. Es ist aber ein weit verbreitetes Phänomen: Immer mehr einzelne absentieren sich. Das kann nicht gut sein.
Wenn man sich je fragte, wie rasch sich jeder Einzelne in der komplizierten Welt von heute verirren kann, und wie verworren der Weg zurück ist: Hier sieht man es. Wie viele Menschen verfestigen sich in derartigen Meinungsecken, ohne ein bekanntes Gesicht in ein Video hängen zu können?
Unruhe
Man glaubt sogar, dass diese Menschen hier mit Ernst und Glauben agieren. Das legt aber eigentlich noch in der Unruhe nach. Denn umso fataler das Resultat, das von "Aber die Kinesiologie sagt" bis zu Zerrbildern von Freiheit und auch von journalistischer Recherche (was für grauenhaft geführte Interviews das sind!) reicht.
Immerhin, zumindest, sind sie nicht sarkastisch. Zumindest nicht vorderhand. Wenngleich im Anliegen: Denn dass hier Künstler hochkomplizierte Debatten auf den eigenen Recherchehorizont reduzieren, ist ein bisschen so, als würde sich Herr Drosten auf die Burgtheaterbühne stellen: Er bekäme nur ernsthaften Applaus von jenen, die der Schauspielerei absichtlich eines auswischen wollen.
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