Albertina-Chef Schröder über Essl, Haselsteiner, Künstlerhaus

Karlheinz Essl, Klaus Albrecht Schröder
Die Übernahme der Sammlung Essl als Dauerleihgabe ist umstritten. Klaus Albrecht Schröder, Chef der Albertina, kontert im Interview auf Dieter Bogner.

KURIER: Der Museumsexperte Dieter Bogner kritisiert, dass die Albertina die Sammlung Essl für 27 Jahre als Dauerleihgabe übernimmt – und sie im Künstlerhaus präsentieren wird. Aufgrund Ihres Expansionswillens hat er Sie als "Fossil der neoliberalen 90er-Jahre" bezeichnet. Was halten Sie entgegen?

Klaus Albrecht Schröder:Das hat mit einer als neoliberal denunzierten Wachstumsstrategie gar nichts zu tun. Seit meiner Kindheit ist nicht nur die Weltbevölkerung gewachsen – von drei auf acht Milliarden Menschen, sondern auch die Zahl der Künstler. Und der Horizont der Kunst ist in der globalisierten Welt weiter geworden. Es gibt ein Bedürfnis der Kunstliebhaber, darüber informiert zu werden. Diesem Bedürfnis können wir nicht in Museen gerecht werden, die für wesentlich kleinere Sammlungen errichtet wurden; noch dazu, wenn die Sammlungen in alten, ursprünglich nicht als Museen errichteten Gebäuden untergebracht sind. Wir können den erweiterten Horizont der Kunst daher nur mithilfe neuer Standorte darstellen. Vergegenwärtigen wir uns doch die Situation in München: Die Alte und die Neue Pinakothek sind mittlerweile um die Pinakothek der Moderne und das Museum Brandhorst gewachsen. Dasselbe passierte in Berlin, San Francisco und New York. Museen können also neue Sammlungen nur aufnehmen, wenn sie auch an Fläche zunehmen.

Es stellt sich jedoch die Frage, warum ein Museum mit über einer Million Exponaten überhaupt eine Sammlung als Dauerleihgabe aufnehmen soll.

Die gesamte Museumswelt wäre unendlich viel ärmer ohne Dauerleihgaben. Das halbe Kunsthaus Zürich besteht in der Moderne aus Dauerleihgaben. In der Regel aber muss die öffentliche Hand nicht nur die Kosten für die Dauerleihgaben, sondern auch die für den Präsentationsort tragen. Bei uns ist das anders: Die Haselsteiner Privatstiftung, also der 60-Prozent-Eigentümer der SE-Sammlung Essl GmbH, hat sich bereit erklärt, das Künstlerhaus zur Gänze auf eigene Kosten zu renovieren und zu modernisieren. Die geschätzten Kosten betragen dafür 36 Millionen Euro. Darüber hinaus hat sich Hans Peter Haselsteiner verpflichtet, sämtliche Wartungs-, Instandhaltungs- und Personalkosten zu übernehmen. Das heißt: Wir konnten einen für die Albertina und damit für Österreich wahrlich vorteilhaften Dauerleihvertrag schließen.

Die Albertina wird für die Lagerung, Versicherung und Instandhaltung der Sammlung Essl 1,1 Millionen Euro pro Jahr bekommen. Das macht bei einer vereinbarten Laufzeit von 27 Jahren 30 Millionen Euro aus. Sollten mit diesem Geld nicht lieber echte Ankäufe getätigt werden, wie Bogner argumentiert?

Reden Sie nicht polemisch von 30 Millionen! Die Albertina erhält unter allen Bundesmuseen die mit Abstand geringste Basisabgeltung. Sie ist, wie Sie wissen, weit geringer als jene für das MAK oder das mumok. Dabei hat die Albertina bei den Umbauten und Erweiterungen in den letzten 18 Jahren mit über 30 Millionen Euro die mit Abstand höchsten Eigenleistungen erbracht. Die Erhöhung unserer Basisdotierung um 1,1 Millionen ist daher mehr als gerechtfertigt.

Die Werke bleiben im Essl Museum in Klosterneuburg deponiert. Wie hoch ist die Miete, die an die GmbH zu zahlen ist?

Der Quadratmeterpreis ist derselbe, den die Albertina auch für andere Depots zahlt; monatlich etwa 35.000 Euro für 3000 Quadratmeter (also 420.000 Euro im Jahr, Anm.). Aber dieses Depot erhalten wir im Unterschied zu unseren zehn anderen Depots bereits voll ausgestattet – vom Lagersystem bis zur modernen Restaurierwerkstätte.

Bogner meint, dass es in den Sammlungen der öffentlichen Hand genügend Werke gebe, um das Künstlerhaus jahrzehntelang zu bespielen. Braucht es überhaupt die Sammlung Essl?

Sie beinhaltet – neben dem Bestand internationaler Gegenwartskunst – unter anderem mehr als 100 Werke von Maria Lassnig, knapp 200 Werke von Arnulf Rainer, an die 80 Werke von Franz West, eine große Sammlung von Erwin Wurm, eine der wichtigsten Sammlungen von Valie Export, die größte Sammlung von Martha Jungwirth. Zusammen mit den Albertina-Beständen an Gegenwartskunst – 20.000 Werke – können wir die österreichische Kunstgeschichte daher umfassend darstellen: Mikl und Hollegha, West und Wurm, Brandl und Damisch, Pichler und Zadrazil, Valie Export und Peter Weibel. Man sieht diese Künstler in keinem anderen Museum Wiens. Es ist doch das vorrangige Interesse der Kulturpolitik, Kunst öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Ziel können wir jetzt ohne den Klosterneuburger Standortnachteil des Essl-Museums im Zentrum der Bundeshauptstadt realisieren. Das ist das Beste, was der jüngeren Kunstgeschichte Österreichs passieren kann. Günstiger wird man nie wieder so eine Sammlung bekommen!

Um die Sammlung Essl zu retten, nahm Haselsteiner einen Kredit in der Höhe von kolportierten 117 Millionen Euro auf. In der Folge wurden Werke auktioniert, es gibt aber noch Schulden. Bogner befürchtet, dass nun "unter dem Dach der Albertina" Kunstandel betrieben werden könnte. Zu Recht?

Nein. Es werden nur wenige Werke verkauft, um die Restschuld zu tilgen. Sie beträgt rund 40 Millionen Euro. Aber dafür hat man viel Zeit, Haselsteiner macht keinen Druck. Beide, Karlheinz Essl und Haselsteiner, haben das erklärte Ziel, die Sammlung geschlossen zu erhalten. Die Sammlung soll in Zukunft sogar erweitert werden, um bestehende Lücken zu schließen. Die GmbH betreibt also keinen Kunsthandel. Außerdem haben wir festgelegt, welche Werke auf keinen Fall verkauft werden sollen.

Das ist der "unveräußerliche Kernbestand". Wer hat ihn festgelegt? Waren Sie involviert in die Sichtung des Bestandes?

Ja, ich konnte die Sammlung sichten und beurteilen, unterstützt von der Expertise meiner Kuratoren. Wir haben in allen Fällen einvernehmlich entschieden, ob ein Werk jemals verkauft werden darf oder nicht. Ein Beispiel: Von den 36 Gemälden von Karel Appel wurden fünf definiert, die keinesfalls verkauft werden dürfen. Und wir haben uns darauf verständigt, dass von den restlichen 31 Bildern einige verkauft werden können. Welche, haben die Eigentümer zu entscheiden.

Gemeinsam?

Haselsteiner sagt, dass der Sammler seine Sammlung am besten kennt. Essl hat daher den Auftrag, die notwendigen Verkäufe zu tätigen. Bogners Bezeichnung "Sammlung Haselsteiner, vormals Essl" ist übrigens eines Historikers unwürdig. Der berühmteste Da-Vinci-Bestand, der Codex Leicester, hat auch nach dem Erwerb durch Bill Gates seinen Namen nicht verloren. Ebenso respektiert Haselsteiner die Leistung des Sammlers. Er legte fest, dass die Sammlung weiterhin "Essl" heißt. Das finde ich wunderbar. Was Bogner macht, ist fies.

Nächster Punkt: Für die internationale Gegenwartskunst ist eigentlich das mumok zuständig, für die österreichische Kunst das Belvedere. Und die Albertina ist – zumindest ursprünglich – die Graphische Sammlung.

Wir sind nicht die Graphische Sammlung, wir besitzen neben anderen Sammlungen auch die Graphische Sammlung, und zwar weltweit eine der drei bedeutendsten. Wir arbeiten intensiv mit diesem Bestand. Aber die Kunst hat sich geändert. Wir haben die Zeichnung aus der Quarantäne befreit und in die Gesamtheit der Kunst eingebettet.

Das war nicht die Frage.

Sie fragen sich, ob die Sammlung Essl nicht besser ins mumok oder ins 21er Haus des Belvedere passen würde? Das glaube ich nicht. Diese beiden Häuser haben sich sehr klar in der Gegenwart positioniert. Nicht ohne Grund wurde das 20er Haus in 21er Haus umbenannt. Unterstrichen wird diese Entscheidung durch die geradezu zeichenhafte Bestellung von Stella Rollig zur Belvedere-Direktorin. Ich glaube, dass es die Absicht des Kulturministers war, dem 21er Haus ein noch klareres Profil zu geben. Und dafür steht Stella Rollig. Und mit den Berufungen von Lóránd Hegyi über Edelbert Köb bis zu Karola Kraus gibt es ebenso eine ganz klare Positionierung des mumok – aber sicher nicht als Museum der klassischen Moderne. Nur konsequent gab es dort in den letzten Jahrzehnten keine Picasso-, Matisse- oder Magritte-Ausstellung.

Die Übernahme soll bei den Direktorinnen dennoch für leichte Irritation gesorgt haben.

Ich mich vor der Übernahme vergewissert, ob von Seiten der Österreichischen Galerie oder des mumok irgendwelche Verhandlungen geführt wurden. Obwohl jeder wusste, dass Professor Essl das Museum in Klosterneuburg schließen muss, gab es nicht einmal ein Telefonat. Das ist durchaus verständlich, denn die Sammlung benötigt schon aufgrund ihres Umfangs einen eigenen, neuen, großen Standort. Das Künstlerhaus ist dafür optimal! Sowohl das 21er Haus als auch das mumok wären für die Sammlung Essl viel zu klein. Es ging also nicht nur darum, die Sammlung zu übernehmen, es musste auch ein Präsentationskonzept entworfen werden. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ein dritter Standort für die Kunst unserer Zeit das Publikum in Wien überfordert. Meine Kuratoren werden sich auch nicht ratlos fragen: "Was sollen wir denn im Künstlerhaus zeigen? Die anderen Häuser haben ohnedies schon alles thematisiert." Eine Kulturmetropole wie Wien verträgt drei Museen für Gegenwartskunst – so wie sie mehrere Altmeister-Museen und mehrere Opernhäuser, Musicalbühnen oder Sprechtheater verträgt. Und wie bei den Opernhäusern wird es auch in der Kunst keine Doppelgleisigkeiten geben. Alle Häuser sind angemessen ausgelastet. Oder glauben Sie wirklich, dass das mumok mit seinem dezidierten Programm 700.000 Besucher mehr im Jahr hätte, wenn die Albertina nicht Gerhard Richter, Georg Baselitz, Arnulf Rainer, William Kentridge oder Alex Katz gezeigt hätte? Die Albertina ist keine Konkurrenz. Oder können Sie mir eine Ausstellung der Albertina nennen, bei der Sie sich gefragt haben, in welchem Museum Sie sind?

Ganz aktuell: Der Wiener Maler Eduard Angeli müsste nicht unbedingt schon wieder von der Albertina präsentiert werden.

Aber es gibt keinen einzigen Hinweis, dass das mumok oder das Belvedere daran interessiert wären, Eduard Angeli zu zeigen. Diese Ausstellung ist daher eine sinnvolle Ergänzung zu deren Programm. Wie auch die Präsentation der Sammlung Essl als Desiderat österreichischer Kunst für unser Land eine längst überfällige Ergänzung unserer Museumslandschaft darstellt. Der zweite Standort der Albertina im Künstlerhaus wird zu keiner "Verwässerung der Museumslandschaft" führen, wie Bogner fürchtet. Vielmehr gewinnen wir etwas dazu!

Laut Bogner führt es zu einer Verwässerung, wenn alle Museen Gegenwartskunst zeigen.

Museen müssen sich mit der Gesellschaft verändern. Sie sollen nicht wie ein toter Fisch im Strom schwimmen, aber sie sollen auch nicht gegen den Strom der Zeit arbeiten. Sie müssen den Geist der Zeit erkennen – und auf ihn reagieren. Daher glaube ich nicht, dass dieser Zug hin zur Gegenwartskunst, den wir weltweit beobachten können, gestoppt werden kann. Die Albertina will laut Mission Statement "aktuell, relevant und attraktiv" sein. Diesen Anspruch erfüllen wir mit der Eröffnung eines zweiten Standortes und der Präsentation der Sammlung Essl.

Sie wollen aber nicht nur das Künstlerhaus bespielen, sondern zeigten angeblich auch Interesse, das Kunstforum der Bank Austria zu übernehmen.

Sicher nicht. Die Albertina hat nichts mit dem Kunstforum zu tun. Wir sollten mit diesem Thema nicht Zeit und Zeilen verschwenden.

Mir wurde anderes berichtet.

Ich befasse mich nicht mit Fake News. Um es nochmals klar zu sagen: Die Albertina hat sich nie darum bemüht, das Kunstforum zu bespielen. Es gibt wichtigere Fragen.

Und zwar?

Bogner machte sich sogar über unser Plakat "Von Monet bis Picasso" Gedanken. Das finde ich merkwürdig. Die Übergabe der Sammlung Batliner war einer der wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Albertina. Denn dadurch können wir erstmals einen "Lehrpfad der Malerei der Moderne" anbieten: vom Impressionismus und Pointillismus über den Fauvismus und Expressionismus bis zum Surrealismus und Picasso. Die Sammlung Batliner haben in den letzten zehn Jahren über acht Millionen Menschen gesehen. Ebenfalls klargestellt werden muss Bogners Aussage, die Übernahme der Sammlung Essl torpediere eine mögliche Reform der Bundesmuseen. Tatsächlich hat Kulturminister Drozda den Auftrag gegeben, die bestehende Organisations- und Rechtsform der Bundesmuseen zu evaluieren. Weder war die inhaltliche Ausrichtung der Museen ein Thema, noch wurde meines Wissens von den Experten ein Gutachten dazu abgegeben. Die Übernahme der Sammlung Essl war daher überhaupt nicht Gegenstand der Evaluierung.

Die Frage ist, ob es, analog zu den Bundesmuseen, auch für die Bundesmuseen eine Holding geben soll. Was meinen Sie?

Ich glaube, dass die Selbstständigkeit der Bundesmuseen in den letzten 18 Jahren die Grundlage für deren Erfolg war. Sie war es zumindest für den Erfolg der Albertina.

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