Diese Bilder sind der Rezensentin noch heute in Erinnerung. Jene von Daniel Kramers Inszenierung für das Akademietheater verblassen bereits wenige Stunden nach der Aufführung. Im Programmheft erklärte Kramer, er wolle „Engel in Amerika“ als Mythos „begreifen“, denn die traditionellen Inszenierungen seien längst gemacht.
Der Regisseur, von 2016 bis 2019 Direktor der heute vom Schließen bedrohten English National Opera, inszenierte 2007 in London beide Teile, „Die Jahrtausendwende naht“ und „Perestroika“. In Wien beschränkte er sich auf Teil eins.
Der Beginn seiner Aufführung ist alles andere als einnehmend. Die nur wenig beleuchtete Bühne (Annette Murschetz) ist mit schwarzen Kisten vollgeräumt. Sobald man sich an die Dunkelheit gewöhnt hat, erkennt man, dass diese Holztruhen auf Rädern Särge sind. Mit krächzender Stimme stellt sich eine Figur als Rabbi Isidor Chemelwitz vor. Der Monolog wird zur plakativen Persiflage. Was dann kommt, erzählt nichts vom Mythos des Stücks. Die Särge bleiben, werden je nach Bedarf als Sitzbänke, Getränkeschränke oder auch als Betten verwendet.
„A Gay Fanatasia. With national Themes“, nennt Kushner sein Drama im Untertitel. Die „nationalen Themen“ sind inzwischen zu globalen geworden. Aids, Antisemitismus, Rassismus und Amtsmissbrauch gibt es heute überall, das Ozonloch, von dem im Stück die Rede ist, wird immer größer. Von Fantasie ist bei Kramer jedoch keine Rede. Er lässt den Text in der Übersetzung von Frank Herbert quasi vom Blatt spielen, aber mit Kürzungen, die den Rhythmus stören und den eigentlich furiosen auf einen historischen Rückblick einer längst vergangenen Zeit reduzieren.
Louis, ein einfacher Angestellter, trennt sich von seinem Partner Prior, als der ihm von seiner HIV-Infektion erzählt. Joe, Jurist, praktizierender Mormone und unglücklich mit der Valium-süchtigen Harper (Annamaria Láng) verheiratet, hadert mit seiner Neigung für Männer, findet aber Gefallen an Louis und lässt sich vom homosexuellen Star-Anwalt Roy Cohn protegieren. Cohn gab es tatsächlich. Er machte durch die Denunziation von Kommunisten Karriere und starb 1986 an Aids.
Kramer lässt Fantasiegestalten auftreten, etwa einen Darsteller als Pille verkleidet und einen Engel im Virenschutzanzug, aber die fügen sich nicht ins düstere Gesamtbild. Dass es dennoch immer wieder starke Szenen mit Sogwirkung gibt, liegt ausschließlich am Ensemble. Exzellent Felix Rech, der Joe glaubwürdig als Zerrissenen zwischen seinen Glauben und seiner Neigung zeigt.
Nils Strunk besticht mit rasanten Monologen und akkurater Figurenzeichnung eines jungen jüdischen Mannes. Patrick Güldenberg agiert auch in Fantasiekleidern eindrucksvoll. Markus Scheumann zeigt Cohn als Kunstfigur. Wenn er am Ende mit einem schwarzen Samtumhang in einem Sarg liegt, erinnert diese Gestalt an Dracula. Bless Amadas Drag Queen ist zur Randfigur reduziert, die jedoch jene wenigen Momente für sich nützt. Safira Robens und Barabra Petritsch ergänzen in mehreren Rollen, letztgenannte auch als Rabbi. Jubel vom Premieren-Publikum.
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