Akademie-Rektor im Gespräch: „An subversiven Praktiken orientiert“

Akademie-Rektor im Gespräch: „An subversiven Praktiken orientiert“
Johan F. Hartle, der neue Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien, über die Ausbildung von kreativen Menschen.

Seit Oktober leitet Johan F. Hartle die Akademie der bildenden Künste Wien. Der Kunsttheoretiker lehrte zuvor in Karlsruhe, Amsterdam und in Hangzhou (China) – trotzdem verbindet ihn mit Wien eine längere Geschichte.

KURIER: Sind Sie, auch wenn Sie in Hannover geboren wurden, ein alter Schwede? Sie heißen ja Johan Frederik Hartle und haben die schwedische Staatsbürgerschaft.

Johan F. Hartle: Meine Mutter ist Schwedin. Aber ich kann nur ein bisschen Schwedisch stammeln, bin also ein halber alter Schwede. Trotzdem beobachte ich mit Neugier, welche Konnotationen das Wort „Schweden“ in Österreich hat: Schwedenplatz, Schwedenbomben und so weiter.

Sie sind ein großer Fan des Roten Wien. Warum?

Das Rote Wien hat vor 100 Jahren Fakten geschaffen, die bis in die Gegenwart nachwirken. Noch immer wird ein hoher Lebensstandard für viele gewährleistet. Eine Stadt, die Intellektuelle wie u. a. Otto Bauer, Otto Neurath oder Margarete Schütte-Lihotzky hervorgebracht hat, darf stolz auf ihre Vergangenheit sein.

Die Schattenseiten klammern Sie aus? Etwa die bevormundende Fürsorge oder Julius Tandlers Eugenetik?

Natürlich: Es gibt einen sehr repressiven und auch disziplinarischen Strang im Roten Wien, der auch Gegenstand meiner konkreten wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist. Die Gemeindebauten sind architektonisch in vielem rückschrittlich, verglichen mit den Leuchttürmen der Architekturavantgarde: Im schlimmsten Fall sind sie regionalistische Vereinsheime. Und es gibt bei vielen Höfen eine panoptische Ordnung, man hat also eine allseitige Beobachtungsstruktur geschaffen. Der wesentliche Impuls bleibt aber die radikale Umverteilung – des Zugriffs auf den städtischen Raum und damit auch auf seine Lebensperspektiven.

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