Umso wichtiger ist ein Beitrag zu dieser Debatte, wie ihn das Buch „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ liefert. Und umso wertvoller – ganz ohne Eigenlob für diese, unsere Branche – ist es, dass ein Journalist diesen Beitrag gestaltet hat. Als langjähriger Auslandskorrespondent der New York Times spielt Howard W. French natürlich in der Topliga des Gewerbes.
Ihm ist es gelungen, eine Tiefenrecherche, die bis in die kleinsten Verästelungen europäischer Kolonialherrschaft reicht, in einer von Anfang bis Ende packenden Erzählung und in einer klaren Aussage zusammenzufassen. Und diese Aussage lautet, in aller Kürze: Ohne den Beitrag des seiner Menschen und seiner Bodenschätze beraubten Afrika wäre Europas Aufbruch in die Neuzeit und die globale Machtübernahme des Kapitalismus nicht möglich gewesen.
Afrikas Königreiche
French konfrontiert den Leser in allen Details mit dem gigantischen Ausmaß der Verbrechen, die Europa und seine Herrscherhäuser in Afrika verübt haben. Es geht ihm trotzdem nicht um eine Anklage, sondern vielmehr um einen messerscharfen, nüchternen Blick auf das, was die Entdeckung und Eroberung Afrikas antrieb, sobald die ersten Karavellen aus Portugal im 15. Jahrhundert in Richtung Süden in See stachen.
Es ging von Anfang an um Geschäfte, und diese Geschäfte machten die Europäer gerade in den Anfängen des Kolonialismus keineswegs mit unbedarften Bewohnern einer wie auch immer gearteten Wildnis, sondern mit Afrikas Königreichen. Die hatten nicht nur internationale Kontakte in die arabische Welt und nach Asien, sie waren mit ihrem Gold und ihrem schon damals im großen Maßstab betriebenen Menschenhandel bedeutende Faktoren der globalen Wirtschaft.
Die Europäer klinkten sich mit politischem Geschick und noch mehr Gewalt in diese blutigen Geschäfte ein und bauten darauf ihre Wirtschaftsimperien in der Neuen Welt auf. Nicht das geografische Ausmaß dieser Kolonien – so beeindruckend das auf historischen Karten wirkt – sondern die intensive wirtschaftliche Nutzung machte diese wertvoll.
Zucker-Kapitalismus
So waren Zuckerinseln wie Kuba oder Jamaika viel größere Machtfaktoren im kolonialen Wettkampf der Europäer als riesige Reiche in Südamerika. Die vom millionenfachen Mord an Afrikanern angetriebene Plantagenwirtschaft war technisch und wirtschaftlich hochmodern und wurde so zum Modellfall für den Kapitalismus des Industriezeitalters in Europa. Wie ein Motor beförderte Afrika uns in die Neuzeit und wurde zugleich seiner eigenen Zukunft beraubt.
Howard French: „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“, Klett-Cotta, 512 Seiten, 36 Euro
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