Adrian Lester: "Wir haben noch einen langen Weg"

Adrian Lester spielt den ersten farbigen Othello Ira Aldridge.
Adrian Lester über den ersten farbigen Othello in Londons "Red Velvet" – und den aktuellen beiläufigen Rassismus.

"Du weißt, wir sind nur bis zu einem gewissen Punkt offen … wir sind offen für Neues, das auf dem Alten aufbaut. Aber wir sind kein Selbstbedienungsladen. Da schließen wir dann unsere Grenzen…". Es ist diese höflich-beiläufige, menschenverachtende Gleichgültigkeit, die Ira Aldridge, dem ersten farbigen Othello-Darsteller in London, 1833 entgegenschlug. Diese Zeilen in Lolita Chakrabartis Drama "Red Velvet" lassen das Publikum aufschrecken, zeigen angesichts der Berichte über die Flüchtlingskrise, wie wenig sich in der Einstellung der Menschen seither geändert hat.

Ausnahme im West End

Denn auch 2016 ist "Red Velvet" das derzeit einzige Stück, das – geschrieben, inszeniert (von Indhu Rubasingham) und mit Adrian Lester als Hauptdarsteller – von drei farbigen Künstlern dominiert wird. Das Londoner West End ist immer noch sehr konservativ – für Diversität, so Adrian Lester im Interview, müsse man auch heutzutage eher an die Peripherie Londons schauen – zum Tricycle (in dem Red Velvet 2012 uraufgeführt wurde) oder dem National Theater. "Dabei ist es etwas völlig anderes, wenn ich – sagen wir – ein Stück über Suffragetten von einem Mann schreiben und inszenieren lasse oder von einer Frau! Das sieht man doch an Selma (ein Film über Martin Luther King, Regie Ava DuVernay)". Lester hatte, ebenso wie DuVernay, eine Szene daraus gelesen, "... und es war natürlich eine völlig andere Interpretation."

1998 war Adrian Lester auf Ira Aldridge gestoßen: "Es war während einer dramatisierten Lesung über diesen afroamerikanischen Schauspieler, der nach London kam, um Othello zu spielen, und ich war überrascht, dass er keine erfundene Figur war. Während der Recherchen mit Lolita fanden wir dann mehr über Ira Aldridge heraus. Er war wohl der erste Method Actor vor Stanislawski – sein Talent, Charisma, seine Leidenschaft prägten seine Auftritte."

Erster farbiger Othello

So entstand Red Velvet – und Lolita Chakrabarti gibt zu, während des Schreibens Ehemann Adrian als Aldridge gesehen zu haben. Die Geschichte erzählt drei Tage im Leben des Shakespeare-Darstellers Ira. Von der scheinbar erfolgreichen Premiere als Othello im Covent-Garden-Theater über die rassistischen, politisch motivierten Kommentare in den Kritiken ("Lolita, Indhu und ich haben alle schon unter solchen Kritiken gelitten", bemerkt Adrian) bis zur Absetzung nach dem zweiten Abend, auch weil Aldridge es wagte, seine Desdemona während des letzten Aktes zu berühren. "Bei einem Stück wie Othello (für seinen Othello erhielt der mit einem Order of the British Empire geadelte Lester als bester Schauspieler den Evening Standard Theatre Award, Anm.) geht jeder von uns mit blauen Flecken heim. Jeden Abend. Das ist der Job", stellt Lester lachend fest. "Es ist ein physisch anstrengendes Stück!"

Blackfacing

Noch einmal reflektiert Ira als alter Mann, hoch geachtet in Osteuropa und höchstbezahlter Schauspieler seiner Generation, über seine Zeit in London – während er sein Gesicht für seine Rolle als Lear weiß schminkt. Ein bezeichnender, ein aufrüttelnder Gegensatz zum "blackfacing", das Überschminken, um als Weißer für einen Part wie Othello zu entsprechen.

Wie steht Adrian Lester dazu? "Schauspieler sollten das nicht tun. Punktum. Diese Tradition gehört in die Vergangenheit. Dann muss eben nach einem farbigen Schauspieler gesucht werden. Wir haben noch einen langen Weg zu gehen, wir sind noch nicht ganz angekommen und die Benachteiligungen werden immer subtiler. Aber...", und Lester kann ein wenig Sarkasmus nicht unterdrücken, "Frauen dürfen wählen, Menschen dürfen nicht mehr verkauft werden. Aber ich bin ein Humanist und ich bin milde (er verwendet "soft", das mehrere Deutungen zulässt, Anm.) – man muss als Einzelner nicht die Welt verändern. Aber wenn jeder von uns seinen kleinen Teil der Welt zum Besseren verändert, dann ist schon viel erreicht."

Über Wien hat der weichherzige Humanist und Kämpfer für Gleichberechtigung übrigens keine glänzende Meinung: Von seinem Gastspiel (2001 mit Peter Brooks Hamlet in der Titelrolle bei den Wr. Festwochen, Anm.) blieb ihm vor allem die emotionale Kälte der Wiener, die ihm und seiner Familie entgegenschlug, in Erinnerung.

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